Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

378 DI. Von den Funktionen der Reichagewalt. 
allem kann kein Gesetz für das Reichsland ohne seine Zustimmung 
zuStande kommen, dagegen stehtihm ein selbständiges Verordnungs- 
recht im Reichslande nicht zu. Ausserdem sind ihm durch Spe- 
cialgesetzgebung gewisse einzelne Befugnisse ausdrücklich über- 
tragen. So entscheidet z. B. der Bundesrath, anstatt des französischen 
Staatsrathes, über die Rekurse wegen Missbrauches in kirchlichen 
Angelegenheiten ($ 9 des Verwaltungsgesetzes vom 30. December 
1871). Alle Anordnungen und Verfügungen des Kaisers bedürfen 
zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher 
dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. Dadurch erhält der 
Reichskanzler die Stellung eines Ministers für Elsass-Lothringen. 
Nach dem Gesetze vom 4. Juli 1879 kann aber der Kaiser zur 
Ausübung seiner landesherrlichen Befugnisse einen Staathalter 
ernennen, welcher seinen Sitz in Strassburg hat ($ 1). Wenn er von 
dieser Befugniss Gebrauch macht, dann tritt die durch das Gesetz 
vom 4. Juli 1879 bestimmte Organisation ins Leben. Sollte der 
Kaiser aber von dieser Befugniss keinen Gebrauch machen, so würde 
diejenige Organisation der Landesbehörden wieder aufleben, welche 
vor 1879 bestand, und der Reichskanzler würde wieder Minister für 
Elsass-Lothringen werden. Da der Kaiser durch Verordnung vom 
23. Juli 1879 von dieser Befugniss Gebrauch gemacht hat und wahr- 
scheinlich immer wieder Gebrauch machen wird, so ist wohl that- 
sächlich diese auf einen Statthalter berechnete Organisation als 
eine bleibende zu betrachten. 
$ 332. 
2) Der Statthalter. 
1) Dem Statthalter sind gewisse landesherrliche Befugnisse 
übertragen. Diese werden in drei Klassen eingetheilt: a) Erlass von 
Verordnungen und Verfügungen über speciell aufgeführte Gegen- 
stände der Landesverwaltung; b) Nachlass von Geldstrafen, Geneh- 
migung von sogenannten Rehabilitationen u. s. w.; c} Ernennung 
und Bestellung gewisser Beamtenkategorien. Für diese von dem 
Statthalter in Vertretung des Kaisers vollzogenen Regierungsakte ist 
derselbe nur dem Kaiser verantwortlich, im übrigen aber gleich 
dem Kaiser selbst unverantwortlich. Seine Anordnungen und Ver- 
fügungen bedürfen deshalb zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung 
eines Staatssekretärs, welcher dadurch die Verantwortlichkeit über- 
nimmt. 
2) Dem Statthalter kommen alle Befugnisse und amtlichen
	        
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