Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

30 Das Reichsstaatsrecht. 
Ss lt icht gedacht werden kann; diese sind ihm, ohne jede 
Ableitung von einerandern Person, unmittelbar durch die Reichsver- 
fassung übertragen. Neben dem Kaiser steht als zweites Organ der 
Bundesrath. Verselbe leitet seine Gewalt nicht vom Kaiser her, 
ist kein Ministerium desselben, sondern Mitträger der Souve- 
ränetät des Reiches. Diesen beiden Organen steht die Staats- 
gewalt des deutschen Reiches zu unmittelbarem, unabgeleitetem 
Rechte, in verfassungsmässiger Theilung, wenn auch mit verschie- 
denen Befugnissen zu. Eine solche Vertheilung der Staatsgewalt 
an mehrere Organe widerspricht der Einheit der Staatsgewalt nicht, 
indem dieselben auf ein verfassungsmüssiges Zusammenwirken, auf 
ein organisches Ineinandergreifen angewiesen sind!. Selbstver- 
ständlich wird unter dem Bundesrathe nicht die Versammlung der 
zufällig gerade in Berlin anwesenden Bevollmächtigten, sondern ein 
aus einer Vielheit gebildetes einheitliches Kollegium, der Kollck- 
tivbegriff sämmtlicher Regierungen der Einzelstaaten verstanden. 
Der Reichstag dagegen ist nicht ale Organ der Staatsgewalt, 
nicht als Mitträger der Souveränetät, sondern als Organ der 
Volksvertretung mit allerdings schr wichtigen und einfluss- 
reichen Befugnissen anzusehen. Die Rechtsstellung dieser verechie- 
denen Orgune, sowie das Zusammenwirken derselben zu einer ein- 
heitlichen Aktion, wird im speciellen Theile im Einzelnen dargestellt 
werden. 
Anmerkung. 
In Betreff der staatarechtlichen Struktur der Reichagewalt weichen 
die Schriftsteller über deutsches Reichsstaatsrecht von einander ab. Die 
Mchrzahl derselben erklärt »vdie Gesammtheit der verbündeten 
Regierungen« für das Subjekt der Reichsgewalt; so besonders I,a- 
band, G. Meyer und Zorn; dagegen schreibt H. v. Treitschke 
dem Kaiser eine »wirklich monarchische Gewalt« zu (Preuss. 
Jahrb. Nov. 1874 S. 536); nach L.v. Rönne kommt »in der Verfassung 
1 Auf dem gleichen Grundgedanken einer Theilung der Regierungerechte 
zwischen zwei Organen beruhte der Verfassungsentwurf des ».g. Jreikönigsbünd- 
nisaes vom 29. Mai 1849, welcher nicht ohne Einfluss auf den Entwurf der norddeut- 
schen Bundesverfassung gewesen ist. Die officiellen Motive erläutern die Struktur 
der Reichegewalt so: »Weder der Reichavorstand, noch das Fürstenkol- 
lekium stellen für sich allein die Reicheregierung dar; diese existirt crat 
in der Verbindung beider.» Am prügnantesten stellte sich dieser Dualismus 
der Organe in der alten Hamburger Verfassung von 1712 Art. 1 dar, wonach 
«ro xvgior oder das höchste Recht bei E.E. Rath und der Erbgesessenen Bürger- 
schaft inseparabili nexu, conjunctim und zusammen stehen sull« (Meine EinL 
&6u 8, 197.
	        
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