Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

1. Der Kaiser. 37 
an unsere mittelaltrige Kaisergeschichte knüpfen, wäre die Aufrich- 
tung eines deutschen Kaiserthums nicht möglich gewesen. Man 
wollte mit der »Wiederherstellung« ausdrücken, dass man nicht 
etwas Neues schaffen, sondern an altehrwürdige Ueberlieferungen 
in zeitgemässer Umgestaltung anknüpfen wollte. Es ist dies symbo- 
lisch durch die Wiederannahme der Kaiserkrone Karl’s des Grossen 
ausgedrückt. Die Krone des deutschen Kaisers ist und bleibt nach 
ihrer völkerrechtlichen Würde die älteste ın Europa, wenn die 
jetzigen Kaiser auch weit davon entfernt sind, eitle Präcedenzan- 
sprüche vor anderen Kronen darauf zu gründen!. Aber auch un- 
verkennbare staatsrechtliche Analogien lassen sich, trotz der oben 
erwähnten Verschiedenheiten, zwischen dem Kaiserthum von heute 
und dem von ehemals nachweisen. Der deutsche Kaiser ist ebenso, 
wie der von ehedem, Oberhaupt eines zusammengesetzten Staats- 
körpers; unter ihm stehen Staaten der verschiedensten Art und 
Grösse, damals, wie heute, selbst solche mit königlichen Ehren. 
Der Kaiser von heute ist, wie der von ehemals, nicht Monarch in 
dem Sinne, dass er die gesammte Staategewalt in seiner Hand ver- 
einigt, sondern er theilt sie mit einem andern Körper, jetzt mit dem 
Bundesrathe, damals mit dem Reichstage; aber er ist auch nicht 
bloss Präsident oder Direktor eines Staatenbundes, sondern un ver- 
antwortlicher Mitträger der Souveränetät und zwar an 
oberster Stelle, also Oberhaupt des Reiches. Hätte man dieses mo- 
narchische Element in der Stellung des Reichsoberhauptes nicht 
zum Ausdruck bringen wollen, so hätte man logischer Weise nie 
einen Titel für dasselbe wählen können, welcher zu allen Zeiten 
nur Monarchen beigelegt worden ist. 
Darnach ergiebt sich folgende staatsrechtliche Stellung des Kai- 
serthums im Organismus des deutschen Bundesstaates: 
1) Der Kaiser ist unmittelbares und selbständiges Organ der 
Staatsgewalt, deren Subjekt das Reich selbst als staatsrechtliche 
Persönlichkeit ist. Er ist mit und neben dem Bundesrath Träger 
der Souveränetät. Er leitet sein Recht unmittelbar aus der Reichs- 
verfassung her, er handelt sim Namen des Reiches, d.h. als 
unmittelbares Organ der juristischen Persönlichkeit desselben. Diese 
selbständige Stellung des Kaiserthums, welche jeden Gedanken 
einer blossen Delegation ausschliesst, bezeichnet die richtig verstan- 
ı! H Schulse, gausgen B. OL Zollern VI. Die deutschen Kaiser aus 
dem Hause Zollern B. 628 fi.
	        
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