Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

74 I. Von den Organen des deutschen Reiches. 
Bundesstaaten gebildet. Die Abgeordneten werden »in jedem Bun- 
desstaate« gewählt. 
I. Zusammensetzung des Reichstages. 
$ 260. 
1) Im Allgemelaen. 
In allen grösseren Staaten mit Volksvertretung gilt jetzt das 
Zweikammersystem, d.h. die Volksvertretung gliedert sich in 
zwei Kollegien, durch deren volle Uebereinstimmung allein ein Be- 
schluss der ganzen Volksvertretung zu Stande kommen kann 
($ 174 S. 461). Dieses System ist aus der englischen Verfassung in 
die Verfassungen fast aller modernen Staaten übergegangen. Es ist 
nicht bloss im konstitutionell monarchischen Staate, sondern auch 
in allen grossen Republiken, es ist nicht bloss im einfachen Staate, 
sondern auch im Bundesstaate zu Hause. Ja, im letzteren hat es 
noch eine besondere Bedeutung gewonnen, indem hier neben dem 
aus allgemeinen Volkswahlen hervorgehenden Hause ein anderes 
Haus steht, welches, aus den Einzelstaaten hervorgehend, deren 
staatliche Individualität darzustellen berufen ist. So haben die 
Unionsverfassung von Nordamerika, wie die Bundesverfassung der 
Schweiz das Zweikammersystem in diesem Sinne angenomnien. 
Auch alle früheren Entwürfe einer bundesstaatlichen Verfassung 
für Deutschland, die Reichsverfassung von 1849, die Verfassung des 
sogenannten Dreikönigsbündnisses, stellten ein Staatenhaus neben 
das Volkshaus. Es war daher erklärlich, dass eine ähnliche Forde- 
rung an die Verfassung des norddeutschen Bundes gestellt wurde. 
So beantragte Zachariä im konstituirenden Reichstage, »dass der 
Reichstag aus zwei Häusern, einem Oberhause und einem Unter- 
hause, bestehen soller. Obgleich die Vorzüge des Zweikammersy- 
stems im allgemeinen für das konstitutionelle Leben unleugbar sind, 
so lag doch in diesen Anträgen eine Verkennung der Struktur der 
deutschen Reichsverfassung. Wäre die gesammte Reichsgewalt im 
Kaiser concentrirt worden, wie in der Reichsverfassung von 1549, 
so wäre die Errichtung eines Staatenhauses eine folgerichtige For- 
derung ‚gewesen, damit, neben der einheitlichen Nationalvertre- 
tung im Volkshause, auch das im Bundesstaate vorhandene und 
berechtigte einzelstaatliche Element zur Geltung komme. Anders 
aber liegt die Sache im heutigen deutschen Reiche, wo neben dem 
Kaiser der Bundesrath als Mitträger der Souveränetät steht. Im
	        
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