$ 10. Erwerb und Verlust von Staatsgebiet. 93
Namen ist auch hier völkerrechtlich nichts anderes als verschleierte
Gebietsabtretung.
4. Hierher gehört endlich auch die pachimweise Überlassung von &e-
bieten, wenn sie auf längere Zeit und unter Übertragung der Hohelisrechte
erlolgt.
Vgl. den Vertrag zwischen England und dem Kongostaat vom
12.Mai 1894 (oben S.86) und ganz besonders die chinesischen Ver-
träge von 1898 mit Deutschland über die Abtretung der Bucht von
Kiautschou, mit Großbritannien über die Abtretung von Wei-hai-wei
und mit Rußland über die Abtretung von Port Arthur und Talienwan
nebst Hinterland, sowie mit Belgien vom 2.Februar 1902 über ein
Gebiet in Tientsin (Jahrbuch I 253).
Durch Artikel 2 des Vertrages zu Peking vom 6. März 1898 (Fleisch-
mann 287, Strupp II 128) überließ China an das Deutsche Reich
„pachtweise vorläufig auf 99 Jahre beide Seiten des Eingangs der
Bucht von Kiautschou‘“. Nach Artikel 3 wird China, um einem etwaigen
Entstehen von Konflikten vorzubeugen, während der Pachtdauer in
dem verpachteten Gebiete Hoheitsrechte nicht ausüben, sondern über-
läßt die Ausübung derselben an Deutschland. Den chinesischen Kriegs-
und Handelsschiffen wird die Behandlung auf dem Fuße der Meist-
begünstigten zugesichert. In Artikel 5 verpflichtet sich Deutschland,
das Gebiet niemals an eine andere Macht weiterzuverpachten. Sollte
Deutschland später einmal den Wunsch äußern, die Bucht vor Ablauf
der Pachtzeit an China zurückzugeben, so verpflichtet sich China,
Deutschland einen besser geeigneten Platz: zu gewähren. — Außer-
dem räumt Artikel 1 des Vertrages dem Deutschen Reiche weitgehende
Rechte ein in einer Zone von 50 km im Umkreise der Bucht.
Daraus ergibt sich, daß das Deutsche Reich zwar nicht in der
Fünfzig-Kilometer-Zone, wohl aber in dem Gebiete der Bucht von
Kiautschou die uneingeschränkte Souveränität erworben hat; Kiau-
tschou wurde deutsches „Schutzgebiet“ 1%). Über sein künftiges Schick-
sal wird auf den europäischen Schlachtfeldern entschieden.
16) Abweichend auch hier Jellinek, D. J. Z. III253, Rehm 82, Ullmann
298. Die Ansicht des Textes teilen Crusen bei v. Stengel-Fleischmann
U 504, Köbner, Deutsches Kolonialrecht in Kohlers Encyklopädie S. 1087,
Laband, Staatsrecht 5. Aufl. II281, M&rignhao 1393. v. Stengel, Rechts-
verhältnisse der deutschen Schutzgebiete. 1901 (8.22), Strupp Il128 Notel.
— Der Allerhöchste Erlaß vom 27. April 1898 (R. G. Bl. S. 171) erklärt, daB das
Gebiet von Kiautschou „in deutschen Besitz übergegangen‘ sei, stellt sioh also
auf den im Text vertretenen Standpunkt. — Der Vertrag selbst ist auch ab-
gedruckt N. R. G. 2. s. XXX 326. — Der belgisch-chinesische Pachtvertrag
vom 2. Februar 1902) findet sich auch abgedruckt in N. R. G. 3. s. VIII 215,