Verantwortlichkeitsfragen 453
Im Osten haben Euer Majestät die austropolnische Lösung befohlen.
Trotz der schweren Bedenken, die General Ludendorff und ich gegen diese
Lösung hatten, haben wir pflichtmäßig mitgearbeitet, da nach Euer Maje-
stät Befehl die Oberste Heeresleitung die Forderungen stellen sollte, die
ihr die Lösung annehmbar machten. Beim Vortrag am 18. 12. schränkten
wir unsere Forderungen ein; wir hatten nun die Hoffnung, daß Euer
Majestät mit den Forderungen der Obersten Heeresleitung einverstanden
wären und die Reichsregierung entsprechend handeln sollte. Ich glaubte
daher, auch einen Vorschlag des k. u. k. Armeeoberkommandos, der uns
nur unwesentliche Grenzberichtigungen zumutete, dem General v. Arz
gegenüber als mit der Würde Deutschlands nicht vereinbar bezeichnen zu
können.
Am 2. 1. erbat Herr v. Kühlmann Euer Mojestät Entscheidung. Euer
Majestät legten eine Linie fest, die unsere Forderungen stark beschränkte
und die austropolnische Lösung für die Oberste Heeresleitung nicht mehr
annehmbar macht. Euer Moajestät gestatteten zwar, daß die Linie nochmals
einer näheren Bearbeitung unterworfen wird; ich weiß aber nicht, ob
noch eine Lösung gefunden werden kann, die unsere schwerwiegenden Be-
denken gegen die austropolnische Lösung zu beschwichtigen") imstande wäre.
Die Schaffung eines ukrainischen Staates kann die Polengefahr für
Deutschland gewiß mildern; die Verhältnisse sind aber in Rußland so
unklar, daß darauf m. E. nicht die Sicherheit des Deutschen Reiches auf-
gebaut werden kann.
Auch die Verhältnisse in Kurland und Litauen sind durch die Er-
klärungen vom 25. 12. sehr unklar geworden. Meldungen, die ich am 4. 1.
über die Haltung der Letten für den Fall einer zweiten Abstimmung
erhielt, haben die Besorgnis, die ich am 2. 1. zurückstellte, erneut geweckt.
Den Wühlereien der Polen bleibt in den nördlichen Gebieten Tür und Tor
geöffnet. Meine Bedenken gegen die austropolnische Lösung werden
dadurch noch sehr erheblich bestärkt. Unsere militärischen Grenzverhält-
nisse werden dadurch ganz ungemein schwierig.
Ich glaube nicht, daß die Kriegslage es irgendwie gerechtfertigt hat,
daß Deutschland dies auf sich zu nehmen hat. Wir sind durch die Ab-
machungen vom 25. 12. vollständig überrascht worden. Die späteren Ab-
machungen haben unsere Lage etwas verbessert, aber doch den Zustand
geschaffen, den ich vorstehend festgelegt habe.
Die wirtschaftlichen Abmachungen haben beim Staatsminister Dr.
Helfferich und dem Staatssekretär Frhrn. v. Stein sowie der gesamten
Industrie die größte Bestürzung hervorgerufen.
*) Am 5. November 1917 hielten alle Minister und Staatssekretäre gegen die
Stellungnahme der H. H. L. eine solche Lösung für gangbar.