Full text: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik. Dritter Band. (3)

288 Die Erziehung 
An und für sich ist kein Grund vorhanden, eine höhere Mädchenschule 
gerade an cinem bestimmten Orte zu errichten, indem die von ferne her- 
kommenden Zöglinge sich überall hin begeben können; wenn also ein pas- 
sendes Gebäude in gesunder Lage, etwa ein eliemaliges Schloss oder Klo- 
ster, dazu verfügbar gemacht werden kann, so mag diess immerhin ge- 
schehen. Doch ist allerdings zu bemerken, dass in grossen Städten immer 
eine bedeutende Anzahl von Schülerinen solcher Art vorhanden sein wird, 
und es somit natürlich und billig ist, diesen die nothwendige Bildungs- 
gelegenheit in der Nähe zu verschaffen. Es wird damit auch der weitere 
Vortheil erreicht, dass nicht alle Schülerinen in der Anstalt selbst als 
Hausgenossen untergebracht werden müssen, was einerseits die Anlagekosten 
für den Staat, andererseits die Forderungen für die Benützung bedeutend 
vermindert, ausserdem den so wünschenswerthen Zusammenhang mit dem 
Familienleben für Viele aufrecht erhält. Auch ınögen hier gute Lehrer 
für die Nebenfächer leichter erworben werden, ohne dass man nothwendig 
hätte dieselben ganz für die Anstalt in Anspruch zu nehmen, also auch 
entsprechend zu bezahlen. Ueber die Zahl solcher höheren Anstalten lässt 
sich ein Grundsatz nicht von vorneherein aufstellen; das Bedürfniss muss 
hierüber entscheiden. Dieses aber wird sich wieder nach den Bildungs- 
verhältnissen und den Gewohnheiten eines Landes verschieden gestalten. 
Namentlich ist von grossem Einflusse darauf, ob die Sitte, die Töchter 
durch Gouvernantinen, also in der Familie, und bis zu ihren Eintritte in 
die Welt vollständig zu erziehen, weit verbreitet ist. Von selbst ver- 
steht sich, dass der Staat kein Monopol für diese Art von Schulen in An- 
spruch zu nehmen hat; cs werden also Privatanstalten, sei es weltlicher sei 
es klösterlicher Art, nach Belieben bestelien können und muss den Aeltern 
vollkonınen freie Wahl unter allen vorhandenen Anstalten bleiben. Auch hier 
kann die Mitwerbung nur nützlich für alle Theile sein. — In Betreff des 
Unterrichtes und der Einrichtung dieser höheren Schulen genügen folgende 
kurze Bemerkungen. — Vorerst hat der Staat in seinen eigenen Anstalten 
dafür zu sorgen, in den Privatanstalten wenigstens indirect durch Beispiel 
und durch Rath dahin zu wirken, dass der eitlen Zerfahrenheit und nicht 
nur nutzlosen sondern geradezu schädlichen Ausdehnung des Unterrichtes 
auf allzu viele und desshalb zum Theile völlig überflüssige und von den 
Zöglingen nicht zu bewältigende Gegenstände nicht gefröhnt, sondern ein 
gründlicher, wirkliches Wissen erzeugender und an cine ernste l’ebung 
der Geisteskräfte gewöhnender Unterricht in dem Nothwendigen ertheilt 
wird. Wenn der Staat hier mit gutem Beispiele vorangeht und sich dann 
die Früchte einer solchen vernünftigen Bildung thatsächlich zeigen, so wird 
hierdurch mehr als durch Warnungen und selbst Befehle ein Unfug be- 
seitigt werden, über welchen itzt und mit so viel Recht geklagt wird. —