12 Geschichtliche Entwicklung
Kultur und umfassender allgemeiner und politischer Bildung kennen.
Die Unterhaltung mit ihnen bot psychologisch und geschichtlich höchstes
Interesse, weckte das Verständnis für die Größe einer vergangenen Zeit,
zugleich das für die Bedingungen, unter denen allein auch der Nach-
richtendienst in der Zukunft von Erfolg begleitet sein konnte. Da diese
Bedingungen in Deutschlands Einigungs-Kriegen erfüllt waren, konnte
sich der deutsche Nachrichtendienst damals in engen persönlichen Grenzen
halten, zumal seine Ziele begrenzt waren und seine Kräfte sich dank
der Staatskunst Bismarcks jeweils nur auf einen Gegner zu vereinigen
hatten.
Die Arbeit nach allen Seiten und den Angriff von allen Seiten kannte
das Deutschland Bismarcks nicht. Mit England, im besonderen aber
mit Rußland bestanden freundschaftliche Beziehungen. Das fand darin
seinen Ausdruck, daß ein militärischer Nachrichtendienst über den offi-
ziellen hinaus weder gegen England noch gegen Rußland getrieben wurde.
Rußland selbst, weniger von äußeren als inneren Feinden bedroht, ent-
wickelte einen in der Hauptsache gegen letztere gerichteten rein politischen
Nachrichtendienst in Gestalt einer über ganz Europa verbreiteten Polizei-
Organisation, der berüchtigten „Ochrang“. War diese auch ursprünglich
nicht auf militärische Spionagezwecke eingestellt, so war sie doch jeder-
zeit fähig, für militärische Jwecke zu arbeiten. Erst der russisch-japa-
nische Krieg führte Rußland in die Reihe der zielbewußt einen militäri-
schen Nachrichtendienst treibenden Staaten. Das Bündnis mit Frankreich
erschloß ihm dessen große Erfahrungen, machte den russischen aber
gleichzeitig zum Söldner des französischen Nachrichtendienstes gegen
Deutschland.
Dieses aber trug der Entwicklung nicht Rechnung. Sein politischer
Nachrichtendienst verkümmerte in der Hand einer allzusehr nach gesell-
schaftlichen Gesichtspunkten ausgewählten und handelnden Diplomatie,
die sich streng in den korrekten Bahnen hielt, indem sie sich mit dem
begnügte, was ihr in diesen Bahnen geboten wurde. Die berechtigte
persönlich vornehme Denkungsart wurde auf die sachliche Führung der
Geschäfte übertragen. Das „right or wrong — my country“ kam
deutscherseits nicht mit dem Konkurrenzkampf gegen England empor.
Der militärische Nachrichtendienst verlor die politische Führung und
damit zunehmend das Verständnis und die Unterstützung der politischen
Faktoren. Hierfür konnte es keinen Ersatz schaffen, daß Deutschland