152 Im Heimatgebiet
vollsten Auskünfte sich zu verschaffen. Dasselbe gilt von den Berichten
neutraler Gesandtschaften und Konsulate an ihre Regierungen für den
politischen und wirtschaftlichen Nachrichtendienst. Unerwünscht war des-
halb der lebhafte Verkehr führender politischer und wirtschaftlicher Kreise
und hervorragender Vertreter der deutschen Presse bei den neutralen
Gesandtschaften. Etwas anderes war es, wenn diese, wie beim Feind,
den Verkehr zur Propagierung der Kriegsziele der eigenen Regierung
pflegten. Sehr bedenklich war es ferner, daß die Nachrichtenquelle der
neutralen Gesandtschaften nur von Berlin aus gespeist wurde, während
das übrige Deutschland und seine Stimmung den neutralen Vertretern
verschlossen blieb. Den neutralen Militärattachss wurde während einer
längeren Pause der militärischen Operationen Gelegenheit gegeben, auf
einer Reise durch Deutschland die Kriegsmaßnahmen in der Heimat
kennenzulernen. Damit wurde verbunden, ihnen die Stätten der deut-
schen Kultur und Wissenschaft, der sozialen Fürsorge, des hohen Stan-
des der Friedenswirtschaft Deutschlands und anderes vor Augen zu
führen. Sie waren von diesem Einblick sehr befriedigt, ihre Bewun-
derung und Sympathie für Deutschland war gestiegen. Ein ähnliches
Unternehmen auch für die politischen neutralen Vertreter mußte erst
vom Generalstab angeregt werden.
Die politischen Vorgänge in Deutschland, besonders im deutschen
Reichstag, beschäftigten andauernd den feindlichen Nachrichtendienst. Sie
konnten ihm nicht verborgen bleiben. Wenn Vorgänge sich abspielten,
welche die Siegeszuversicht des Feindes neu beleben mußten, wurde
mir nahegelegt, die Grenzen für Post und Zeitungen sperren zu lassen.
Eine solche Maßregel wäre aber nur eine zwecklose Belästigung der Be-
völkerung gewesen. Denn was im Reichstag sich abspielte, geschah unter
den Augen und vor den Ohren der in der Diplomatenloge sitzenden
neutralen Vertreter, deren telegraphische Chiffreberichte am nächsten
Tage in aller Welt verbreitet waren und von dort den Weg zum Feinde
fanden.
Die Presse stand zwar bei allen Kriegführenden unter Zensur. Den-
noch wurden die hauptsächlichsten deutschen Zeitungen planmäßig in
London und Paris, die deutschen Provinz= und Fachblätter durch den
Nachrichtendienst in Holland und in der Schweiz sowie durch Agenten
in Deutschland selbst auf Nachrichten überwacht, die großen Zeitungen
ihres politischen und wirtschaftlichen Inhalts wegen, die kleinen, von