Full text: Geschichte des Königreichs Sachsen mit besonderer Berücksichtigung der wichtigsten culturgeschichtlichen Erscheinungen.

— 249 — 
Es war der 30. November. Ein gewaltiges Schneegestöber 
ließ die Gegner einander nur in geringer Entfernung erkennen. Karl 
ordnete sein begeistertes Heer zum Angriff, dessen Muth durch die 
Erinnerung an den glänzenden Sieg über die Dänen erhöht wurde. 
Der junge König war. die belebende Seele des Ganzen, während 
Kaiser Peter seine Russen den Abend vor der Schlacht unter dem 
Vorwande verlassen hatte, Verstärkung heranzuziehen. Damals glich 
der russische Soldat so ziemlich einem Sklaven, oder einer Maschine, 
die nur dann in Gang kommt, sobald sie durch eine äußere Kraft 
in Bewegung gesetzt wird, aber still steht, wenn diese Kraft zu wirken 
aufhört. Bedenkt man ferner, daß die Schweden für Erhaltung ihres 
Reiches kämpften, daß sie also ein bestimmtes Ziel vor Augen hatten, 
während die Russen nur die Waffen führten, weil ihnen dieselben in 
die Hände gegeben worden waren: so ist es erklärlich, daß Karls Heer 
zu einer Begeisterung fähig war, von welcher die rohen Russen keine 
Ahnung hatten. Der ungleiche Kampf begann. Die Russen wurden 
niedergemäht wie das Gras von der Sense des Mähers. Das 
beschneite Schlachtfeld färbte das Blut der Gefallenen. Scharenweise 
ergaben sich andere den muthigen Siegern oder suchten ihren Tod 
in der Narwa. Ein Sieg war errungen, wie die Welt einen zweiten 
wohl noch nicht gesehen hatte. 
Von seinen Schweden angestaunt, stand der achtzehnjährige Held 
mitten unter ihnen wie ein Auserwählter Gottes. Seinem Gott gab 
der Sieger auch allein die Ehre. Unter Kanonendonner hielt Karl 
seinen Einzug in die befreite Stadt Narwa und sein erster Gang 
war — in die Kirche. Hier kniete er nieder und dankte Gott für den 
errungenen Sieg. Selbst die ältesten Krieger ließ solch ein Anblick 
nicht kalt. Thränen füllten ihre Augen und Freude über ihren 
frommen König erhob ihre Herzen. 
Für jetzt hatte Karl von den Russen nichts mehr zu fürchten. 
Nun wandte er sich gegen seinen dritten Feind, den König von Polen, 
dessen Heer unter dem Oberbefehle des Feldmarschalls von Flemming 
stand. Dieser Mann, welcher das volle Vertrauen seines königlichen 
Herrn besaß, sollte dem siegreichen Vordringen Karls „Halt!“ gebieten. 
Ihm sowohl, als auch den Sachsen muß man es zum Ruhme nach- 
sagen, daß es nicht Mangel an Tapferkeit war, daß Karl auch diesmal 
Sieger blieb. Sie mußten Liefland räumen und es ihrem Gegner 
wieder zurückgeben. 
Mit unglaublicher Schnelligkeit hatte der schwedische Held seine 
drei Gegner niedergeworfen und er konnte wohl annehmen, daß diesen 
die Lust vergangen sein würde, sich wieder mit ihm zu messen. Karl 
steckte aber dessenungeachtet sein Schwert nicht in die Scheide. Nun 
gedachte er den Kriegsschauplatz in des Feindes Land, und zwar 
nach Polen, zu versetzen. Dort wollte er den König August aufsuchen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.