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Es war der 30. November. Ein gewaltiges Schneegestöber
ließ die Gegner einander nur in geringer Entfernung erkennen. Karl
ordnete sein begeistertes Heer zum Angriff, dessen Muth durch die
Erinnerung an den glänzenden Sieg über die Dänen erhöht wurde.
Der junge König war. die belebende Seele des Ganzen, während
Kaiser Peter seine Russen den Abend vor der Schlacht unter dem
Vorwande verlassen hatte, Verstärkung heranzuziehen. Damals glich
der russische Soldat so ziemlich einem Sklaven, oder einer Maschine,
die nur dann in Gang kommt, sobald sie durch eine äußere Kraft
in Bewegung gesetzt wird, aber still steht, wenn diese Kraft zu wirken
aufhört. Bedenkt man ferner, daß die Schweden für Erhaltung ihres
Reiches kämpften, daß sie also ein bestimmtes Ziel vor Augen hatten,
während die Russen nur die Waffen führten, weil ihnen dieselben in
die Hände gegeben worden waren: so ist es erklärlich, daß Karls Heer
zu einer Begeisterung fähig war, von welcher die rohen Russen keine
Ahnung hatten. Der ungleiche Kampf begann. Die Russen wurden
niedergemäht wie das Gras von der Sense des Mähers. Das
beschneite Schlachtfeld färbte das Blut der Gefallenen. Scharenweise
ergaben sich andere den muthigen Siegern oder suchten ihren Tod
in der Narwa. Ein Sieg war errungen, wie die Welt einen zweiten
wohl noch nicht gesehen hatte.
Von seinen Schweden angestaunt, stand der achtzehnjährige Held
mitten unter ihnen wie ein Auserwählter Gottes. Seinem Gott gab
der Sieger auch allein die Ehre. Unter Kanonendonner hielt Karl
seinen Einzug in die befreite Stadt Narwa und sein erster Gang
war — in die Kirche. Hier kniete er nieder und dankte Gott für den
errungenen Sieg. Selbst die ältesten Krieger ließ solch ein Anblick
nicht kalt. Thränen füllten ihre Augen und Freude über ihren
frommen König erhob ihre Herzen.
Für jetzt hatte Karl von den Russen nichts mehr zu fürchten.
Nun wandte er sich gegen seinen dritten Feind, den König von Polen,
dessen Heer unter dem Oberbefehle des Feldmarschalls von Flemming
stand. Dieser Mann, welcher das volle Vertrauen seines königlichen
Herrn besaß, sollte dem siegreichen Vordringen Karls „Halt!“ gebieten.
Ihm sowohl, als auch den Sachsen muß man es zum Ruhme nach-
sagen, daß es nicht Mangel an Tapferkeit war, daß Karl auch diesmal
Sieger blieb. Sie mußten Liefland räumen und es ihrem Gegner
wieder zurückgeben.
Mit unglaublicher Schnelligkeit hatte der schwedische Held seine
drei Gegner niedergeworfen und er konnte wohl annehmen, daß diesen
die Lust vergangen sein würde, sich wieder mit ihm zu messen. Karl
steckte aber dessenungeachtet sein Schwert nicht in die Scheide. Nun
gedachte er den Kriegsschauplatz in des Feindes Land, und zwar
nach Polen, zu versetzen. Dort wollte er den König August aufsuchen,