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merksam. „Ei“, rief er aus, „da wir so nahe sind, wollen wir hinein
reiten!“ Mit Besorgniß folgten ihm seine Begleiter. Um 4 Uhr
nachmittags am Leipziger Thore angelangt, gab er sich für einen
Trabanten des Königs von Schweden aus. Sofort brachte man ihn
auf die Hauptwache, wo ihn der hier anwesende Feldmarschall Graf
Flemming sogleich erkannte und ihn auf das Schloß begleitete. Nicht
wenig war Friedrich August überrascht, als er auf einmal ganz furcht-
und harmlos den König Karl vor sich erblickte. Nachdem der hohe
Besuch eine halbe Stunde im Kreise der kurfürstlichen Familie verweilt
hatte, durchritt er in Begleitung des Kurfürsten und unter ungeheurem
Zulaufe der neugierigen und staunenden Menge einige Straßen der
Stadt, nahm das Zeughaus in Augenschein, ritt dann mit dem Kur—
fürsten über die Brücke und beide schieden erst in Neudorf von einander;
außerdem feuerte man dem hohen Besuche zu Ehren 10 Kanonen ab.
Hätte unser Kurfürst dem Rathe des Feldmarschalls Flemming
Gehör geschenkt, so hätte Karls Besuch in Dresden unberechenbare
Folgen nach sich ziehen können. Flemming rieth nämlich, den schwedischen
König gefangen zu nehmen und ihn auf der Festung Königstein so lange
in Verwahrung zu halten, bis er mildere Friedensbestimmungen
zugestanden habe. Günstig war allerdings die Gelegenheit, sich der
Person des Königs zu bemächtigen; wäre aber dieser Schritt nach
dem Friedensschlusse ein ehrenhafter gewesen? Würde Karl nach
erlangter Freiheit die milderen Bedingungen erfüllt haben, wenn sie
ihm auf diese Weise abgezwungen worden wären? Wie würde sich
das große schwedische Heer verhalten haben? Sicherlich drängten sich
alle diese Fragen unserm Kurfürsten auf und er wies in weiser Er-
wägung dieser Verhältnisse Flemmings Rath entschieden zurück.
Unversehrt stand Karl wieder inmitten seiner Schweden. Mit
diesen tapferen Streitern gedachte er seinen dritten Gegner, den russischen
Kaiser, niederzuwerfen. Natürlich war dieser auf einen Angriff gefaßt;
aber Karl verfolgte einen ganz andern Kriegsplan. Er kümmerte sich
nicht weiter um die Fortschritte der russischen Waffen, — in das Herz
Rußlands, und zwar nach Moskau, wollte er vordringen und von
hier aus seinem Gegner den Frieden vorschreiben. Ein kühner Plan!
Ob er ihm gelungen wäre, wissen wir freilich nicht, da er ihn un-
erwartet aufgab; nur so viel wissen wir, daß der an der Stelle
desselben ausgeführte Kriegsplan mit Karls Verderben endete.
Von dem 70jährigen Mazeppa, dem Anführer der (nkrainischen)
Kosaken, überredet, wandte sich der kühne schwedische Held in das
südliche Rußland, obgleich seine sämmtlichen Feldherren davon ab-
riethen. In Rußlands weiten Steppen ging Karls Glücksstern unter,
er ging unter am 8. Juli 1709 bei Pultawa. Wohl selten hat
ein Heer eine so furchtbare Niederlage erlitten, als die Schweden bei
dieser Stadt. Der von der Welt bewunderte schwedische „Löwe“