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langen will. Nur kann einerseits das Verhandeln über Grundsätze
sehr leicht an doktrinärem Starrsinn ersticken und wird andrer-
seits von vornherein zu vermeiden sein, daß eine Partei sich allein
für berechtigt halte, ihre Grundsätze als die allein berechtigten
den anderen aufzudrängen. Es würde als ein Glück angesehen
werden können, wenn das Gute und Mögliche gerade im Bereich
des Grundsätzlichen schon vor jedem Verhandlungsbeginn von
beiden Seiten so weit abgewogen und abgeklärt mitgebracht würde,
daß man nicht beim ersten Verhandlungsversuche schon in dem
unfruchtbaren Satze prineipüs obsta stecken bliebe.
Nun ist die Grundlage der Nationalitäten, wie bekannt, etwa seit
dem 15. Jahrhundert die für die ganze neuere Staatenentwicklung
in der ganzen Welt beherrschende gewesen. Sowohl in der Los-
trennung als auch in der Zusammenschließung hat es seit dem
Ende des mittelalterlichen Kirchenstaates und dem mit ihm so
seltsam verschlungenen mittelalterlichen Kaisertum kein stärkeres
und tieferes Motiv für die äußere Abschließung und innere Ver-
fassungseinigung im Staatenleben der Welt gegeben als die Na-
tionalität, das ist die Einheit in der Abstammung und Art. Dieses
Motiv bietet sich daher auch für den künftigen Friedensschluß
ganz von selbst als ein nicht zu umgehendes, ja sogar förderndes
an. Man wird voraussetzen dürfen, daß an den Verhandlungen nie-
mand teilhaben wird, der nicht die Nationalitätenkarte der Welt
im Kopfe hat und Bescheid weiß in der wundersamen und zum
Teil sehr verwickelten Verteilung der Nationen auf der Erde.
Ebenso nötig wird es sein, daß die Geschichte der Wandlungen
in den Nationalitäten, der Einfluß früherer Kriege und Friedens-
schlüsse und der Sprache auf die Umbildung von Nationen den
Verhandelnden bekannt ist. Die Nationalitäten können eine Grund-
lage für Festsetzung ihrer Staatszugehörigkeit, Grenzen, Sonde-
rung und Zusammenlegung nur dann mit Aussicht auf eine glück-
liche, zukunftverheißende Entwicklung der Dinge bilden, wenn
man ihr Wesen, ihr natürliches und wirkliches Maß von Beharrung
und Beweglichkeit, ihr Ab- und Anschlußbedürfnis, ihre Anschluß-
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