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Politik zu sprechen. Als sich Bismarcks Antlitz im Laufe
der Ausführungen mehr und mehr rötete, bat ihn Dahn,
einem Wink Dr. Chrysanders folgend, sich ein wenig auszu-
ruhen. «
Bismarck: „Gut, eine Stunde. Aber um 4½ Uhr sind
Sie wieder da. Sie können gut zuhören.“" Um 4½ Uhr
nahm er ihn auf einer Fahrt durch den Wald allein zu sich
in den Wagen. Da war es nun ergreifend, mit welcher Liebe
der Gewaltige von seinen Bäumen sprach — er kannte sie
fast alle — vom Landleben und der Landwirtschaft. Aber
gar bald bildeten die Politik und die Geschichte wiederum
den Gesprächsstoff.
Dahn: „Gingen Durchlaucht nicht zu weit, als Sie uns
mit dem allgemeinen Wahlrecht bedachten?“
Bismarck: „Ja, was wollen Sie? Wir waren damals
sehr schwach; wir mußten den Partikularismus bekämpfen
durch den Liberalismus!“
Dahn: „Wie kamen Durchlaucht gerade zu diesem an die
Zeit des Deutschen Bundes erinnernden Wahlgesetz?“
Bismarck: „Ich fand es auf dem Frankfurter Tisch vor.
Und zudem habe ich gemeint, wenn es schadet, kann man es
bei Gelegenheit wieder abschaffen.“)
Dahn: „Sind nicht im Kulturkampf so manche Fehler
begangen worden?“
Bismarck: „Ich wollte drei Dinge: Rücknahme der Schul-
aufsicht von der Kirche hinweg für den Staat, Aufhebung
der katholischen Abteilung im Kultusministerium und Be-
kämpfung des Bündnisses zwischen Polentum und Ultramon-
tanismus. Die ersten beiden Ziele hatte ich bald erreicht,
das letztere Streben ins Werk gesetzt: die einzelnen Kampf-
gesetze habe ich nicht alle prüfen können; ich erkrankte
*) Dahn erwähnte diese seine Stellungnahme zum gleichen,
direkten Wahlrecht auch in einer seiner Vorlesungen; vergleiche
den „Reichsboten“ Nr. 278 vom 28. November 1900.