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die Angst wieder, elendiglich zum „Jammerman“ zu ver-
greisen. Wenn beim Aufstehen aus dem Lehnstuhl einmal
die Beine „nicht wollten“ oder die quälenden Gesichtsschmerzen
ihn zwangen, eine seidene oder wollene Mütze über den mäch-
tigen Schädel zu ziehen, bis über die weißen, buschigen Brauen,
dann sagte er lächelnd: „Ja — auf dem Dache sitzt ein
Ereis, der sich nicht zu helfen weiß.“ Und die Hörer konnten
noch so lebhaft protestieren, konnten versichern, in seinem
Wesen sei keine Greisenspur sichtbar: es half nicht. Er litt
am Leben, litt unsäglich unter dem Bewußtsein, daß seinem
rastlos arbeitenden Geist die Körperkräfte entglitten.“
Friedrichsruh, 1. Januar 1895.
Unterredung mit dem Professor K. Lamprecht,
betreffend die Frankfurter Zeit, Kaiser Friedrich.“
Bismarck erzählte von seinen Frankfurter Attachés und
er wußte sich sogar noch des Namens eines derselben zu erinnern.
Für die spätere Zeit, speziell die Ereignisse im Beginn der
Regierung Kaiser Friedrichs, beklagte er sich über sein schlechtes
*) Nach den von Harden im April 1899 in der „Woche“
veröffentlichten Bismarck-Erinnerungen füllte Bismarck die schlaf-
losen Nächte in seinen letzten Lebensjahren mit politischen und ge-
schichtsphilosophischen Erwägungen aus. Einmal war lange von
den österreichischen Wirren, die ihn beschäftigten, die Rede ge-
wesen. Er konnte nicht einschlafen, und Schweninger, wie so oft,
wachte bei ihm. Plötzlich, der Morgen dämmerte schon, richtete
Bismarck sich im Bette auf und sagte: „Ja, ohne die Schlacht am
Weißen Berge wäre die Sache ganz anders gekommen.“ Und
nun entwickelte er mit der Frische eines Jünglings und der Sach-
kenntnis eines gelehrten Historikers dem staunend aufhorchenden
Arzte, wie wahrscheinlich alles gekommen wäre, wenn Ferdinand II.
am Weißen Berge nicht gesiegt hätte, und gab in großen Zügen
ein Bild der Gestaltung, die dann 1620 vielleicht eingetreten wäre.
"“) Nach einer Veröffentlichung Lamprechts im „Leipziger
Tageblatt“ Nr. 205 vom 26. Juli 1908.