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wie sie die Sozialdemokratie anstrebt, im heutigen Staat
unmöglich ist und der menschlichen Natur ebenso sehr zuwider-
läuft wie den Bestimmungen der göttlichen Vorsehung. Der
Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beruht auf
einem Naturgesetz und kann niemals abgeschafft werden. Ihn
beseitigen zu wollen ist dasselbe, wie das Problem der
Quadratur des Zirkels oder des Kreises zu lösen versuchen.
Die Verschiedenheit der Menschen und ihrer Fähigkeiten bildet
eine der wichtigsten Voraussetzungen der Entwicklung der
Menschen und Völker durch unausgesetzten Wettkampf mit
einander um Erfolg und Erwerb. Wenn diese Ver-
schiedenheit aufhörte, würde alles menschliche Streben und
Kämpfen ein Ende nehmen, und dies kann nicht in der
Absicht der Weltordnung liegen. Andererseits ist es un-
möglich, die Arbeiter in eine Lage zzu bringen, wo sie sagen:
Wir sind zufrieden sowohl für uns, wie für unsere Kinder
und Nachkommen. So lange der Arbeiter Jemanden sieht,
der es besser hat als er selbst, wird er unzufrieden sein und
diese Unzufriedenheit um so energischer äußern, je mehr man
ihm zeigt, daß sie nicht unberechtigt sei. Gesetzt, von Staats-
wegen würden 8 Stunden Arbeitszeit pro Tag und stündlich
1 Mark Lohn, also 8 Mark pro Tag dekretiert, was würde
die Folge sein? Die Bedürfnisse würden wachsen und bald
kämen die nämlichen Leute auch mit 8 Mark nicht mehr aus.
So würde es fortgehen, bis alle Betriebe ruiniert wären und
kein Arbeitgeber mehr auskömmlichen Lohn bezahlen könnte.
Deshalb ist es notwendig, sich dem Andrängen der Arbeiter
nach Lohnerhöhung gegenüber vorsichtig zu verhalten und
nur zu gewähren, was sachlich berechtigt und nicht als ein
Zugeständnis erscheint, das äußerlich abgetrotzt und inner-
lich unberechtigt, nur dazu dienen kann, die Begehrlichkeit
der Arbeiter und den Machtkitzel ihrer Führer zu steigern.
Eine Härte der Arbeiter ist hierin nicht zu finden. Man kann
es ebenfalls als ein Naturgesetz ansehen, daß sich die Lage
v. Poschinger, „Also sprach Bismarck“, Band III. 19