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konservativem Staatswesen und gingen ihnen nach, heutzutage
hat die Streberei alles verdrängt. Der eine will Beförderung
in seinem Amte (man will doch nicht ewig Landrat bleiben),
der ändere wünscht eine höhere Ordenzsklasse zu erhalten;
der dritte erstrebt auf Wunsch seiner Frau Einladungen zu
Hoffestlichkeiten; der vierte möchte dem Anancement seines
Sohnes sich förderlich erweisen, und so geht es fort. Ich
will nicht sagen, daß diese Charakteristik auf alle Konservativen
im Lande zutrifft, ich habe mehr die Führer im Auge, welche
heutzutage einflußreicher sind, als sie es jemals waren. Ueber-
haupt muß man zwischen den einzelnen Mitgliedern, welche
die Fraktion bilden, und der letzteren als solcher unterscheiden.
Das ist so, wie es das bekannte Wort ausdrückt, das einmal
ein königlicher Herr ausgesprochen hat, als er in kritischen
Zeiten direkten Verkehr mit Parlamentariern gehabt hatte:
Wenn man mit dem Einzelnen spricht, ist es jedesmal ein ganz
vern ünftiger Kerl, mit dem man sich verständigen kann und
mit dem auszukommen ist; sowie sie aber zusammenkommen,
sind es Rackers. Sonst ist auch ein gewisser Neid eine her-
vorstechende Eigenschaft meiner Standesgenossen, der Junker,
Viele haben es mir nie verziehen, daß ich, der kleine Guts-
besitzer von Kniephof, vorwärtsgekommen bin, während sie das
blieben, was sie waren. Ein guter Teil des Deklarantentums
war seiner Zeit darauf zurückzuführen.)
*) Nach der „Konservativen Korrespondenz“ und dem
„Reichsboten“ fühlten sich die Konservativen durch Bismarcks
Kritik stark verletzt. Das erste Blatt schrieb: „Wir halten es
für völlig ausgeschlossen, daß Bismarck in dieser Weise sich ge-
äußert habe. Freimütig, wie der hochverehrte erste Reichskanzler
ist, hat er sich häufig rücksichtslos auch über befreundete Parteien
ausgesprochen und aus seinem Herzen wohl niemals eine
Mördergrube gemacht; allein er ist dabei stets bei der Wahrheit
geblieben. Die obige, ihm in den Mund gelegte Aeußerung —
deren augenscheinliche, tendenziöse Entstellung durch ein jüdisch-
liberales Organ nicht Wunder nehmen kann — steht aber mit