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von preußischer Seite aus erfahren, für die russische Politik
stets ein Symptom für die Beschaffenheit der deutschen Ab-
fichten Rußland gegenüber, und eine falsche Behandlung der
Polenfrage kann leicht nachteilig genug auf unser Verhält-
nis zu Rußland einwirken. Dazu kommt, daß die römische
Kirche mit aller ihrer Macht hinter den Bestrebungen des
Polonismus steht, weil sie in dem Polentum eins der wirk-
samsten Bollwerke gegen den Unglauben erblidt. Die Polen
gelten als eines der brauchbarsten Elemente zur Herstellung
der Priesterherrschaft. Ein Volk, das nur polnisch spricht,
ist nicht so wie ein anderes, das eine Weltsprache wie deutsch
oder französisch zur Muttersprache hat, der Gefahr ausge-
setzt, durch seine Literatur der modernen Ungläubigkeit in
die Arme geführt zu werden.“)
*) Mitte Mai 1898 ging die Nachricht durch die Blätter,
ein Mitarbeiter der „Associated Press“ sei nach Friedrichs-
ruh gesandt worden, um die Ansichten Bismarcks über den spanisch-
amerikanischen Krieg zu erfahren. Derselbe sei nicht in der Lage
gewesen, den Korrespondenten zu empfangen, allein dieser habe
von Mitgliedern der Familie (Graf Rantzau) das Gewünschte
erfahren. Die auf Grund dieses Interviews mitgeteilten Aeuße-
rungen Bismarcks gingen dann in die ganze Presse über. (Cf.
die „New-DYorker Staatszeitung“ Nr. 119 und Nr. 177 vom
19. Mai und 26. Juli 1898. Daß Bismarck sich in der mit-
geteilten Weise ausgesprochen habe, hat von Friedrichsruh (resp.
von den „Hamburger Nachrichten“) keine Bestätigung erfahren.
Auch war Graf Rantzau nicht der Mann, der sich interviewen
ließ. Zu alledem trugen die mitgeteilten Stellen das Zeichen der
Erfindung auf der Stirne. Die amerikanische Presse war denn auch
entrüstet über den Mißbrauch, der mit dem Namen des großen
deutschen Staatsmannes getrieben worden war. „Der Mißbrauch
— so bemerkte die „Ill. Staats-Zeitung“ ist aber auch nicht
nur blödsinnig, sondern empörend, weil auch ihm nur die Ab-
sicht der Verhetzung Amerikas und Deutschlands zu Grunde liegt.“
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