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Friedrichsruh, Ende Mai 1898.
Eintreten einer gewissen Teilnahmslosigkeit an
dem Gange der politischen Ereignisse.
Eine wesentliche Menderung in dem Befinden Bismarks
war in den letzten Wochen nicht eingetreten, jedenfalls nicht
zum Besseren, in Folge dessen er sich eine noch größere Be-
schränkung im Empfang von Besuchen auferlegte. Seine
Kritik an dem Gange der deutschen Politik ließ seit einiger
Zeit erheblich nach;“) hatte doch auch der Regierungswagen
jetzt Wege eingeschlagen, auf denen nicht mehr dieselben großen
Gefahren drohten, wie unter Caprioi. Manchmal freilich
konnte ihn doch wieder das alte Feuer packen. So griff
er bei einem Gespräch über eine gewisse politische Frage mit
beiden Händen nach dem Kopf und brauste auf: „Könnte
ich doch in die Schweinerei mal hineinfahren und ihnen sagen,
wohin das führt! Aber Sie wissen, Schweninger, meine
Trompete gibt keinen Ton mehr, sie ist durchschossen.“ Trübe
sah er in die politische Zukunft: „Wir gehen schweren und
schwierigen Zeiten entgegen.“)
Einverstanden war Bismarck, wie es hieß,““) mit der
Behandlung, welche die braunschweigische Regierung neuer-
dings von maßgebender Seite erfuhr. (Keine Zulassung einer
welfischen Thronfolge daselbst.) Auch bestritt er nicht das
Recht Oesterreichs, paralell mit dem Dreibund ein Separat-
abkommen mit Rußland zu treffen, analog dem von Caprivi
1890 nicht erneuerten deutsch-russischen Neutralitätsvertrag.
*) Der beste Beweis liegt in dem Umstande, daß die „Ham-
burger Nachrichten“ vom 26. April bis 19. Mai nur einen
von Bismarck inspirierten Artikel brachten.
"“.) Nach einer Erzählung des Grafen v. Hoensbroech in der
„Täglichen Rundschau“ übergegangen in die „Hamburger Nach-
richten" Nr. 198 vom 25. August 1898.
*“) „Leipziger Neueste Nachr.“ Nr. 144 vom 26. Mai 1898.