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Existenz Frankreichs, wie wir der Oesterreichs als Großmacht
bedürfen.
Nun hat der deutsche Konsul in Kiew eingehende Berichte,
zusammen wohl 200 Seiten stark, über russische Zustände,
darunter auch über militärische Maßnahmen, eingesandt, von
welchen ich einige, politischer Natur, Sr. Majestät eingereicht,
andere, militärische, dem Generalstab der Armee in der An-
nahme, daß dieser sie an Allerhöchster Stelle zum Vortrag
bringen werde, falls sie dazu geeignet wären, übersandt, die
übrigen, um sie mir vortragen zu lassen, dem Geschäftsgang über-
geben habe. Die Berichte waren zum Teil veraltet, da die
sicheren Gelegenheiten von Kiew selten sind. Darauf ist mir
das nachstehende Allerhöchst-eigenhändige Handschreiben zu-
gegangen:
Die Berichte lassen auf das klarste erkennen, daß die
Russen in vollstem strategischen Aufmarsche sind, um zum
Kriege zu schreiten. Nur muß ich sehr bedauern, daß ich so
wenig von den Kiewer Berichten erhalten habe. Sie hätten
mich schon längst auf die furchtbare drohende Gefahr aufmerk-
sam machen können! Es ist die höchste Zeit, die Oester-
reicher zu warnen und Gegenmaßregeln zu treffen. Unter sol-
chen Umständen ist natürlich an eine Reise nach Krasnoje mei-
nerseits nicht zu denken.") Die Berichte sind vorzüglich. W.
In diesem Schreiben ist erstens der Vorwurf ausgedrückt,
daß ich Sr. Moajestät Berichte vorenthalten und Allerhöchst den-
selben nicht auf die vorhandene Kriegsgefahr aufmerksam ge-
macht habe. Zweitens enthält dasselbe politische Weisungen,
die ich nicht ausführen kann. Wir sollen Oesterreich warnen
und selbst Gegenmaßregeln treffen. Und der Besuch Sr.
Majestät zu den russischen Manövern, zu welchen derselbe
sich selbst, ohne mein Zutun, angemeldet hat, soll unterbleiben.
* Der Kaiser muß übrigens seinen Irrtum über die von
Rußland „furchtbar drohenden Gefahr“ sehr bald selbst einge-
sehen haben, denn der Besuch in Krasnoje Selo, an den im
März „nicht zu denken“ war, ist im August tatsächlich erfolgt.