Friedrich Wilhelm I. und die Politik von 1715 — 22. 31
den unter dem Schrecken seiner Verwüstungen. Die Hülfeleistung der
englischen Flotte war im Norden doch unwirksamer, als man erwartet
hatte. Die Russen behielten dagegen über die Schweden auch zur
See allenthalben die Oberhand. Der Plan, eine Expedition nach
Liefland zu Stande zu bringen, bei der auch Preußen mitwirken sollte,
scheiterte an dem Widerstand Friedrich Wilhelm 1, der nur an einer
Mediation, nicht aber an einem Kriege gegen Rußland Theil nehmen
wollte. Was hätte sich auch von England oder von Frankreich für
eine Unternehmung so weitaussehender Art erwarten lassen, in einer
Zeit, in der die verwegenen auf Ueberspannung des Credits beruhen-
den Finanzsysteme, die in beiden Ländern versucht worden waren, in
sich selbst zusammenbrachen und alle Kräfte paralysirten. In England
trat ein neues Ministerium ein, welches sich von allen hannoverschen
Sympathien, inwieweit sie bisher noch Beachtung gefunden hatten,
losriß: war doch England selbst durch die umfassendsten commerciellen
Interessen zur Rücksicht auf Rußland genöthigt.
So weit also reichten die Kräfte der Allianz, die sonst in Europa
allenthalben dominirte, mit Nichten, daß Rußland sich ihr unter-
werfen oder Preußen sich ihr unbedingt hätte anschließen müssen. Von
Einfluß waren die inneren Zustände in Schweden, wo sich eine neue Re-
gierung im Gegensatz gegen den Herzog von Holstein gebildet hatte
und eine Staatsform eingeführt worden war, die das Schwergewicht
der Macht dem Königthum entzog und in die Stände legte. Um dem
Herzog von Holstein den Beistand des Czaren zu entziehen, entschlossen
sich die Schweden, ohnehin aller wirksamen Unterstützung der euro-
päischen Mächte beraubt, sich in das Unabänderliche zu fügen und
die streitigen Provinzen alter deutscher Colonisation, welche sie einst den
Polen entrissen hatten, dem Czaren zu überlassen, der dagegen ihre
Verfassung, wie sie nunmehr war, anerkannte, und dieselbe nicht zu
stören ausdrücklich versprach. Zwischen den beiden Nachbarreichen, die
eine aristokratische Gestaltung annahmen, Schweden und Polen, kam
die Monarchie des Czaren, den sein Volk eben hiebei als einen großen
Kaiser begrüßte, gewaltig empor. Auch Schweden gerieth in die nach-
theilige Lage, die wir bei Polen und Spanien bemerkten: mit der
großen Weltstellung, die es Jahrhunderte lang besessen, verlor es
die Bedingungen seiner Bedeutung überhaupt. Schweden und Polen
waren abwechselnd Gegner des brandenburg preußischen Staates ge-
wesen: in Rußland sah derselbe seinen natürlichen Bundesgenossen.