Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

4 Einleitung. 
Wenn aber auch Rußland sich zu thätiger Theilnahme erhoben 
und unter andern den sächsischen Waffen Stillstand geboten, wenn 
— was bei der Unentschiedenheit der österreichischen Politik nur langsam 
geschehen konnte — England Hülfe in Geld oder in Truppen geleistet 
hätte, die Lage von Deutschland würde doch auch dann sehr armselig 
gewesen sein. Die Engländer und Russen würden für Oesterreich, so 
wie die Franzosen für Baiern gefochten haben; die Königin hätte sich 
auf Ungarn angewiesen gesehen: die deutschen Staaten wären von der 
einen oder der andern Partei mit fortgerissen worden; ein deutsches 
Interesse wäre nirgends erschienen. 
Unter diesen Umständen muß es als ein Glück angesehen wer- 
den, daß es wenigstens Einen Staat gab, der, wenn gleich einseitig, 
doch eine eigene Sache verfocht, über unvergleichliche Streitkräfte ge- 
bot und nur von sich selber Rath nahm. Denn wie unentbehrlich 
auch die geordneten Formen einer allgemeinen Verfassung für eine 
große Nation sind, so beruht doch ihr Heil noch mehr auf dem leben- 
digen und kraftvollen Geist, der die Mittel der Macht zu finden und 
glücklich zu gebrauchen versteht. Dem König von Preußen war es 
gelungen, sich auf das Gewaltigste, unabhängig von allen Seiten, 
zu erheben; doch hatte sein Krieg auch noch eine andere Folge. 
Ihm gebührt, wie wir sahen, selbst ein bewußter Antheil daran, 
daß die Königin von Ungarn sich gegen Frankreich behauptete; die 
nicht so beabsichtigte, aber natürliche Rückwirkung hievon war dann, 
daß sie ihre eigenen Kräfte kennen und anwenden lernte. Gleich aus 
dem ersten Kampfe gingen die beiden großen deutschen Staaten in 
einer Waffenmacht hervor, wie sie kein früheres Jahrhundert ge- 
kannt hatte. 
Nun aber entstand die Frage, und es ist seitdem die wichtigste 
für die deutsche Geschichte geblieben, wie sich beide gegeneinander ver- 
halten, ob sie sich jemals untereinander verstehen würden. Nicht allein 
das schlesische Ereigniß entzweite sie, sondern zunächst noch mehr die 
Beziehung zu dem Reiche. . 
Oesterreich, der kaiserlichen Ehren gewohnt, konnte nicht ertragen, 
daß ein anderes Haus die höchste Würde im Reich bekleiden sollte. 
So beschränkt deren Prärogativen auch sein mochten, so gewährten 
sie doch noch immer nicht allein Ansehen, sondern auch den mannich- 
faltigsten Einfluß und einen Zuwachs von Macht. Preußen, in 
welchem dagegen die Idee des Territorialfürstenthums, deren wir am 
Eingange gedachten, in einer Fülle von Kraft und einem inneren 
Bestand erschien, die Niemand für möglich gehalten hätte, konnte
	        
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