Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

296 Zwöljtes Buch. Fünjtes Capitel. 
Sein skeptisches Verhalten zu den meisten positiven Lehren ge- 
hörte ohne Zweifel dazu, um ihm die Politik möglich zu machen, die 
er in Beziehung auf die verschiedenen Bekenntnisse ergriffen hatte: er 
würde sonst mit sich selbst in Widerspruch gerathen sein. Aber wie 
er schon im Gespräch abbricht, wenn er bemerkt, daß sein Mangel 
an Orthodoxie den Andern verletzt, so hätte er im Leben noch viel 
weniger daran gedacht, seine Meinungsabweichungen auszubreiten, 
von denen er wohl fühlte, daß sie das Gemüth nicht befriedigen, 
einem Volke nicht genügen können. Er hielt es schon für ein Glück, 
daß man dieselben an ihm duldete. 
Für ihn reichte die Ueberzeugung hin, daß der Zweck der Welt 
in dem individuellen Glücke liege; — die wahre Philosophie bestehe 
nicht in den verwegenen Speculationen, durch welche die Wissenschaft 
zu einer Kunst von Vermuthungen gemacht, von den Sitten losge- 
rissen werde, sondern in der Moral, welche die Heftigkeit der ersten 
Eindrücke zu mäßigen und zu zügeln fähig mache. Um glücklich zu 
sein, dazu gehöre sittlich leben, seinen Stand erkennen, sich der Mä- 
Pigung befleißigen, das Leben nicht zu hoch anschlagen. Friedrichs- 
religiöses Gefühl erhob sich nicht über die ersten und einfachsten Ele- 
mente: dagegen sein moralisches Bewußtsein war von der lebendig- 
sien Energie. 
Eine der ersten Pflichten des Menschen, doppelt nothwendig in 
seiner Stellung, sah er in der Selbstbeherrschung und arbeitete dafür 
unaufhörlich an sich. Er bekannte seinen Vertrauten, wenn er etwas 
Unangenehmes, Aufregendes erfahre, suche er nur durch Reflexion 
über die erste Bewegung Herr zu werden, die bei ihm unendlich leb- 
haft sei; zuweilen gelinge es, zuweilen auch nicht, dann aber begehe 
er Unvorsichtigkeiten, und komme in den Fall, sich über sich selbst 
zu ärgern 2). . . . 
Er sbildet sich eine Politik des persönlichen Glückes aus, die 
darin bestehe, daß man die menschlichen Dinge nicht zu ernstlich 
nehme, sich mit dem Gegenwärtigen begnüge, ohne zuviel an die Zu- 
kunft zu denken. Wir müssen uns freuen über das Unglück, das uns 
1) Je mets en œuvre tout ce que J’ai de reflexion pour viter le 
premier moment, dui est tres vif chez moi, et tant que cette vivacité 
du prewier moment dure, je we garde soigneusement de décider zur 
ce que jai vu, sur ce que j'ai entendu, et qui m’'a échauffé la bile; 
malgré mes soins je ne Tévite pas toujours, ce premier moment, et 
pour lors Monsieur fait parfois des sottises et Monsieur s'’en ronge les 
doigts.
	        
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