Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

64 Zehnies Buch. Viertes Capitel. 
Die Königin behauptete, das Band der menschlichen Gesellschaft 
werde zerrissen, wenn man geschlossene Verträge unter der Ausflucht 
der Rechte eines Dritten aufhebe. Der Kaiser sagte, es werde viel- 
mehr dann zerrissen, wenn zwei oder drei, welche die Macht in Hän- 
den haben, einen Dritten seiner gerechten Ansprüche berauben wollen. 
In Oesterreich beklagte man sich, daß der deutsche Boden mit 
französischem Kriegsvolk überschwemmt worden sei; die kaiserlichen 
Minister antworteten: dieses Kriegsvolk sei nur darum erschienen, 
weil man auf der andern Seite jedes Abkommen verschmäht habe, 
und sei dann unmittelbar in die in Anspruch genommenen. Länder 
geführt. worden. Dagegen habe Oesterreich fremde Kriegsheere, zu 
denen auch die ungarischen zu rechnen, großentheils aus uncivilisirten 
Völkern bestehend, in neutrale Länder ziehen lassen und unsägliche 
Verwüstungen veranlaßt. 
Die Königin sagte, ihr Begehren gehe auf zwei gerechte Dinge: 
zureichende Genugthuung und künftige Sicherstellung; eben dies, ant- 
wortete man, seien Forderungen von unermeßlichem Umfang: unter 
dem ersten scheine eine Schadloshaltung für Alles, was seit dem Tode 
Carls VI abgetreten worden sei, selbst eine Erstattung der Kriegs- 
kosten, unter dem andern die Unterdrückung und Verheerung von 
Frankreich verstanden zu werden. 
Bei einigen Ausführungen aus anderweiten Verträgen war in 
der Denkschrift des Wiener Hofes das Wort Kaiser in das Wort 
Kurbaiern verändert worden; eine Verweigerung des kaiserlichen Ti- 
tels, welche auf das Bitterste empfunden und als eine offene Feind- 
seligkeit betrachtet ward. 
Und in diesem Tone und Sinne nun war die Protestation ab- 
gefaßt, welche die Königin, wie wir sahen, mit Hülfe des neuen Kur- 
fürsten von Mainz im September 1743 zur Dictatur brachte. 
Die sämmtlichen Kurfürsten, außer Hannover 1), erklärten dies 
für eine Handlung der Parteilichkeit, die man als null und nichtig 
1) Von dem man sich wunderte, daß es eine Protestation gegen seine 
Chur (die des römischen Stuhls) so hoch ausgenommen, und dagegen eine 
Protestation gegen den Kaiser und die mit seinem selbständigen Zuthun er- 
gänzte Rceichsverfassung von einem co ipso ex nexu imperit gewichenen 
Reichsstande nicht nur angenommen, sondern wohl gar approbirt wissen wolle. 
Es kam in Vorschlag zu erklären, daß gleich wic alle Anbringen an das Reich, 
welche dem Kaiser und dem Reichstage qugestionem status movirten, an sich 
selbsten keineswegs dictabel wären, also hielte man die de facto dictirten 
Protestationes pro non dictatis.
	        
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