Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechster Jahrgang. 1890. (31)

NMebersicht der politischen Eutwichelung des Jahres 1890. 329 
Sansibar die beiden Hauptwertstücke in Ostafrika seien und den 
Sultan von Witu gegen seine Feinde, die Engländer, zu schützen 
eine Ehrenpflicht Deutschlands gewesen sei. Helgoland wollten sie 
in Uebereinstimmung mit manchen Seeleuten einen militärischen 
Wert nicht zuschreiben. Von anderer Seite aber wird der strate- 
gische Wert Helgolands sehr hoch angeschlagen (vgl. den Ausfsatz 
von RN. Wagner in den „Preuß. Jahrb.“ Bd. 66) und der Wert 
des ostafrikanischen Festlandes ohne Sansibar wird davon abhängen, 
ob es gelingt, den Handel, dessen Stapelplatz bisher jene Insel ge- 
bildet hat, direkt durch die festländischen Häfen zu vermitteln (vgl. 
das Urteil von Vohsen S. 109). Gegen eine Entschädigung von 
vier Millionen Mark trat der Sultan die Souveränität über das 
deutsch-ostafrikanische Gebiet an den Kaiser ab, worauf die bisher 
nur mittelbare Dependenz Deutschlands durch einen Vertrag zwischen 
der Regierung und der Deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft vom 
20. November in eine Kronkolonie verwandelt wurde (vgl. 17. 
Oktober). 
Das Wirtschaftsjahr 1890 zeigte einen gewissen Rückschlag Wirt- 
gegen die Hochflut der beiden vorhergehenden, aber doch keinen Lahon. 
eigentlichen Niedergang. Die meisten Preise blieben ziemlich kon- 
stant; nur Kohlen und Eisen sanken erheblich. Der Roggenpreis 
war am Anfang und Schluß des Jahres völlig gleich (an der 
Berliner Börse 176 Mark); das ist, wie schon oben bemerkt, noch 
nicht gerade ein Teuerungs-, aber doch ein hoher Preis. Die 
ebenfalls hohen Fleisch= und Viehpreise gaben Veranlassung, die 
strengen Grenzsperren wegen der Viehseuchengefahr allmählich zu 
mildern. Speziell von den süddeutschen Regierungen soll die An- 
regung dazu ausgegangen sein. Eine sehr merkwürdige Bewegung 
fand im Zinsfuß statt. Der Kurs der deutschen Staatspapiere 
fing plötzlich an, rapide herunterzugehen. Der Sturz betraf aber 
nur sehr gering die 4prozentigen, härter die 3½prozentigen, am 
stärksten die Zprozentigen Papiere. Nachdem die 3prozentige säch- 
sische Rente bereits einen Kurs von 97 Proz. erreicht hatte, mußten 
die deutsche und preußische Regierung im Oktober 3prozentige An- 
leihen, die sie auflegten, den emittierenden Banken zum Kurse von 
86,40 überlassen und der Kurs von 87, mit dem sie ausgegeben
	        
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