Contents: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

122 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 29.—Ende.) 
29. April. Der Reichstag genehmigt in zweiter Lesung den 
Gesetzentwurf über die Regelung der privatrechtlichen Verhältnisse 
der Binnenschiffahrt und das Flößereigesetz gegen die Stimmen der 
Sozialdemokraten (Annahme in dritter Lesung 4. Mai). 
Ende April. Die Presse über die deutsche Intervention in 
Ostasien (val. Asien). 
Die ultramontanen und freisinnigen Blätter greifen die Regierung 
wegen der Einmischung heftig an. So sagt die „Voss. Ztg daß es 
eine Schaukelpolitik bedeute, wenn das Berliner Kabinet während des Krieges 
vollkommen neutral geblieben sei, sich allen Sondirungen verschiedener 
Mächte gegenüber ablehnend verhalten habe und nun trotzdem an einer 
diplomatischen Aktion gegen Japan teilnehme. 
Hierauf erwidert die „Nordd. Allg. Ztg."“: „Wenn Deutschland 
während des Krieges neutral geblieben und den Gedanken einer Intervention 
als vorzeitig und völlig aussichtslos insolange zurückgewiesen hat, als eine 
definitive militärische Entscheidung nicht eingetreten war, so folgt doch aus 
dieser Zurückhaltung keineswegs, daß Deutschland zu irgend einer Zeit ge- 
sonnen gewesen wäre, deutsche Interessen der Willkür des Siegers preis- 
zugeben. Vielmehr ist nach unserer Kenntnis deutscherseits schon vor 
Monaten in Tokio kein Zweifel darüber gelassen worden, daß die Ueber- 
schreitung gewisser Grenzen bei der Festsetzung der Friedensbedingungen 
Deutschlands Interessen berühren und eine Intervention der Mächte herbei- 
führen werde. Nachdem diese Grenze nicht eingehalten worden ist, handelt 
die deutsche Politik lediglich konsequent, wenn sie sich an Schritten be- 
teiligt, welche auf Beseitigung der für europäische Interessen nachteiligen 
Bestimmungen gerichtet sind." 
Die „Köln. Ztg." sagt über die Vorgeschichte der Intervention: 
„Die deutsche Regierung hat deshalb bereits anfangs März ihren Gesandten in 
Tokio telegraphisch angewiesen, der japanischen Regierung zur Mäßigung 
in den Friedensbedingungen zu raten, mit dem Hinzufügen, daß nach 
deutscher Auffassung die Forderung einer Gebietsabtretung auf dem Fest- 
lande besonders geeignet sein würde, eine Einmischung europäischer Mächte 
hervorzurufen. Als einige Wochen darauf aus den ersten Nachrichten über 
die Friedensbedingungen hervorzugehen schien, daß die japanische Regierung 
diesem freundschaftlichen Rate weniger als dem Drängen der dortigen 
Actionspartei Rechnung getragen hätte, wurden bereits am 23. März 
die ersten Schritte zu einer Verständigung der europäischen Mächte in dieser 
Hinsicht eingeleitet. Nachdem zwischen Deutschland und Rußland eine 
völlige Uebereinstimmung der Anschauungen erzielt war und auch ein Zu- 
sammengehen mit Frankreich gesichert ist, wird nunmehr von diesen drei 
Mächten gemeinsam in Japan ein diplomatischer Schritt zur Wahrung 
ihrer Interessen in Ostasien unternommen werden. Dabei sind zunächst die 
Gebietsveränderungen ins Auge gefaßt. Teils sind die wirtschaftlichen Ab- 
machungen noch nicht genügend bekannt; teils glaubt man annehmen zu 
müssen, daß die Festsetzung Japans in wichtigen Teilen des chinesischen 
Festlandes, also vor allem die Besitzergreifung eines Teils der Halbinsel. 
Liautung und die Festsetzung auf Wei-Hai-Wei als Bürgschaft für die 
Kriegskostenzahlung, ein politisches Uebergewicht Japans über China be- 
deuten und damit auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage Chinas 
und ihrer Beherrschung durch Japan einen maßgebenden Einfluß ausüben 
würde. Man zieht hieraus den Schluß, daß Japan sich an allen wichtigen
	        
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