Contents: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

162 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. Ende—Okt. 2.) 
schließung der Gewerbsgenossen, gute technische und sittliche Erziehung durch 
Fortbildungsschulen. Einführung von Handwerkerkammern; gerechte Be- 
steuerung der Landwirte, Entwicklung des Kleinbahnwesens, Schiffbar- 
machung von Wasserstraßen, Landesmeliorationen, Regelung der Erbrechts- 
verhältnisse. Die fünfte Resolution fordert zielbewußtere Kolonial- 
politik, sowohl in der Verwaltung des eigenen Besitzes wie in den Ver- 
handlungen mit fremden Staaten. 
An den Diskussionen beteiligen sich vornehmlich Abg. Hobrecht, Dr. 
Hammacher, Dr. Böttcher, Dr. Osann, Haas, Duvigneau. 
Die nationalliberale Presse bespricht die Resolutionen wie den 
Verlauf des Delegiertentages höchst anerkennend und hebt hervor, daß die 
Partei zu den brennenden Tagesfragen in durchaus klarer Weise Stellung 
genommen habe; die Presse der übrigen Parteien bezeichnet im all- 
gemeinen die Resolutionen als nichtssagend und phrasenreich. 
Ende September. Anf. Oktober. (Polenfrage.) Konflikt 
zwischen Zentrum und Konservativen. 
Infolge der zweiten Rede Bismarcks und der Thorner Rede des 
Kaisers wird die Erörterung der polnischen Frage lebhaft fortgesetzt. Der 
„Dziennik Poznanski“ erklärt, die Polen hätten allein ihre nationalen In- 
teressen gegen deutschen Chauvinismus verteidigt und den Vorwurf der 
Illoyalität nicht verdient. Der „Kuryer Poznanski“ sagt, der Kaiser sei 
über das Verhalten der Polen falsch informiert. — Die deutsche Presse be- 
grüßt beide Reden mit Jubel, nur die Zentrumspresse, vor allem die „Köln. 
Volksztg.“, tritt für die Polen ein, worüber es zu einer heftigen Fehde 
zwischen konservativen Zeitungen, z. B. der „Kreuzztg.“, und Zentrums- 
blättern kommt. 
Es machen sich Stimmen für die in der letzten Zeit scharf ange- 
griffenen Behörden in Posen geltend, so widerspricht die „Kreuzztg.“ den 
Angriffen der „Köln Ztg.“ auf den Oberpräsidenten von Posen. (Vgl. 
S. 150.) 
Ende September. Anf. Oktober. (Berlin.) Bierboykott. 
Verhandlungen zwischen den Brauereien und den Führern der Ar- 
beiter, Auer und Singer, führen zu keinem Resultat, obwohl die Brau- 
ereien die Wiederanstellung aller entlassenen Arbeiter bis auf einige 30 Haupt- 
rädelsführer bewilligt hatten. Es scheint, daß die Führer die Aussichts- 
losigkeit des Boykotts erkannten, den Frieden wünschten, aber von der 
fanatisierten Masse zur Ablehnung gezwungen wurden. 
2. Oktober. (Württemberg.) Zusammentritt der evan- 
gelischen Landessynode. 
Die Synode hat zu beraten den Gesetzentwurf betr. die Ausübung 
der landesherrlichen Rechte, wenn der König nicht evangelisch ist. Die 
Frage ist von Bedeutung, da der jetzige König kinderlos, der vermutliche 
Thronerbe katholisch ist. 
Die wesentlichsten Bestimmungen lauten: Wenn der König einer 
anderen als der evangelischen Konfession zugethan ist, so geht die Aus- 
übung der landesherrlichen Kirchenregimentsrechte in der evangelischen Lan- 
deskirche auf ein Kollegium über, welches aus drei dieser Kirche angehörigen 
ordentlichen Mitgliedern des Geheimen Rates, dem Präsidenten des evan- 
gelischen Konsistoriums und dem Präsidenten der evangelischen Landessynode 
einschließlich des Vorstandes besteht, und den Namen „Evangelisches Kirchen- 
regiment“ führt. Die drei Mitglieder des Geheimen Rates sind in erster
	        
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