Full text: Regierungsblatt für das Königreich Württemberg vom Jahr 1900. (77)

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Anzeige von der Verwahrlosung eines Kindes erstatten, in welchem Falle das Vormund- 
schaftsgericht sich darüber schlüssig zu machen hat, ob es das Verfahren von Amtswegen 
einleiten will. 
Dem ordentlichen Vormundschaftsgericht (Art. 41 des Ausführungsgesetzes zum Bür- 
gerlichen Gesetzbuch), den Polizei= und Gemeindebehörden, sowie den amtlichen Aerzten 
wird zur Pflicht gemacht, den Antrag auf Anordnung der Zwangserziehung bei dem 
Vormundschaftsgericht zu stellen, wenn Thatsachen zu ihrer Kenntniß gelangen, welche 
diese Maßregel im einzelnen Fall als geboten erscheinen lassen. In einem solchen Falle 
sind die in Betracht kommenden Thatsachen bestimmt zu bezeichnen und die erforderlichen 
Beweismittel (Zeugen, Sachverständigengutachten u. s. w.) genau anzugeben. Hierbei ist 
die Erfahrungsthatsache zu beachten, daß eine Zwangserziehung um so eher einen Erfolg 
verspricht, wenn sie zur rechten Zeit, d. h. vor eingetretener weitgehender sittlicher Ver- 
wahrlosung des Kindes, eingeleitet wird. 
Die Staatsanwaltschaft kann mit der ihr nach Art. 1 Abs. 3 des Gesetzes obliegenden 
Mittheilung den Antrag auf Anordnung der Zwangserziehung verbinden. 
Die Vorstände derjenigen höheren gerichtlichen Strafanstalten, in welchen besondere 
Abtheilungen für den Strafvollzug gegen jugendliche Personen (§. 57 des Strafgesetz- 
buchs) eingerichtet sind, haben vor der Entlassung eines solchen Gefangenen aus der An- 
stalt im Benehmen mit dem Hausgeistlichen und Hauslehrer zu prüfen, ob die Einleitung 
der Zwangserziehung auf Grund von Art. 1 Abs. 1 Ziff. 2 und Abs. 2 des Gesetzes 
geboten erscheint; bejahenden Falls haben die Vorstände bei dem Vormundschaftsgericht 
einen entsprechenden Antrag so rechtzeitig zu stellen, daß die Zwangserziehung sich wo- 
möglich unmittelbar an die Verbüßung der Freiheitsstrafe anschließen kann. 
Wird von den Eltern oder Großeltern selbst der Antrag auf Anordnung der Zwangs- 
erziehung eines Kindes gestellt, so ist besonders zu prüfen, ob es sich nicht nur um den 
Versuch derselben handelt, der Sorge für das Kind sich zu entledigen. 
S. 4. 
Wird ein Antrag auf Anordnung der Zwangserziehung von einer hierzu berechtigten 
Person oder Behörde bei dem Vormundschaftsgericht gestellt, so hat dasselbe gemäß §. 12 
des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit das Erforder- 
liche einzuleiten und die in Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes bezeichneten Personen und Be-
	        
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