Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Orientpolitik und Bosnische Krisis. 347 
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mit besonderem Fleiß unter den slawischen Bölkern der österreichisch- 
ungarischen Monarchie betrieben: im ganzen ein ungebeurer Apparat, 
um Osterreich-Ungarn innerlich zu zersetzen, dann im geeigneten Augen- 
blick in Stücke zu schlagen, die Balkanvölker gegen die Türkei zu betzen 
und die allslawische Mutter Rußland über alles herrschen zu lassen. Ser- 
bien war der Hauptträger des „neoflawischen Gedankens“ geworden, 
blieb es und wurde damit der Sturmbock Rußlands gegen Österreich- 
Ungarn. Denn der „neoflawische Gedanke“ bildete letzten Endes nur den 
Oeckmantel für den russischen Drang nach Ausdehnung auf dem Wege 
der Eroberung und Unterdrückung. 
Wie an anderer Stelle geschildert worden ist, hielt sich die russische 
Politik auf der Balkanhalbinsel und im Orient stark zurück, solange die 
Hauptanstrengung nach dem fernen Osten hin gerichtet wurde. Treibe-- 
reien, wie die geschilderten auf dem Balkan, konnten mit den reichlichen 
russischen Mitteln bequem unterhalten werden, ohne daß Rußlande Politik 
sich damit irgend festlegte oder kompromittierte. Im Gegenteil hatte die 
russische Regierung mit der österreichisch-ungarischen seit 1897 ein Ein- 
vernehmen über den Balkanzuftand geschlossen; dieses wurde 1903 zum 
Mürzsteger Abkommen verdichtet. Der Inhalt dieser Vereinbarung ist 
früher seizziert worden. Ihr Zweck war, die Sicherung des Status quo 
der Balkanhalbinsel und gemeinsame Erledigung etwaiger Streitfragen 
durch die beiden Mächte. Oie russischen Staatsmänner haben diesen Zu- 
stand von Anfang an nicht als einen endgültigen betrachtet. Einer von 
ihnen äußerte sich dahin, man habe, solange Rußland im fernen Osten 
beschäftigt sei, die Balkanhalbinsel unter eine Glasglocke gestellt, damit 
dort nichts verändert werde, bevor Nußland sich wieder einer aktiven Orient- 
politik zuwenden könnte. 
Die Balkan= und Orientpolitik Großbritanniens stand offiziell im Zei- 
chen des Nichtsicheinmischens. Tatsächlich jedoch wurde eine umfangreiche 
und intensive Agentenarbeit auf dem Balkan getrieben, unter reichlicher 
BVerwendung englischen Geldes. In England haßte man den klugen 
Sultan Abdul Hamid, weil er nicht unter englischen Einfluß gelangen 
wollte, weil er die ägyptische Frage nicht als gelöst ansah, und hauptsächlich, 
weil er enge Beziehungen mit dem Deutschen Reiche für erstrebenswert 
bielt. England brauchte als Waffe gegen ihn und sein Regiment die Fragen 
und „Reformen“ in Mazedonien, Armenien, Albanien, Arabien usw. 
Die englische Presse entrüstete sich bald hier, bald dort über „Greuel“, 
welche durch die Wühlarbeit britischer Agenten in Gestalt von Aufständen 
hervorgerufen worden waren. Das sogenannte Balkankomitee unter-dem 
Vorsitz der Brüder Buxton war lediglich für diese Zwecke geschaffen wor- 
den und arbeitete mit größten Mitteln und der Humanitätsphrase. Zweck
	        
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