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Reichs-Gesetzblatt.
Inhalt: Gesetz, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft. S. 321.
(Nr. 3069.) Gesetz, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft.
Vom 14. Juli 1904.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König
von Preußen etc.
verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats
und des Reichstags, was folgt:
§ 1.
Personen, die im Strafverfahren freigesprochen oder durch Beschluß des
Gerichts außer Verfolgung gesetzt sind, können für erlittene Untersuchungshaft
Entschädigung aus der Staatskasse verlangen, wenn das Verfahren ihre Unschuld
ergeben oder dargetan hat, daß gegen sie ein begründeter Verdacht nicht vorliegt.
Außer dem Verhafteten haben diejenigen, denen gegenüber er kraft Gesetzes
unterhaltspflichtig war, Anspruch auf Entschädigung.
§ 2.
Der Anspruch auf Entschädigung ist ausgeschlossen, wenn der Verhaftete
die Untersuchungshaft vorsätzlich herbeigeführt oder durch grobe Fahrlässigkeit ver-
schuldet hat. Die Versäumung der Einlegung eines Rechtsmittels ist nicht als
eine Fahrlässigkeit zu erachten.
Der Anspruch kann ausgeschlossen werden, wenn die zur Untersuchung
gezogene Tat des Verhafteten eine grobe Unredlichkeit oder Unsittlichkeit in sich
geschlossen hat oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden
Trunkenheitszustande begangen worden ist oder wenn aus den Tatumständen
erhellt, daß der Verhaftete die Verübung eines Verbrechens oder Vergehens vor-
bereitet hatte.
Der Anspruch kann auch dann ausgeschlossen werden, wenn der Verhaftete
zur Zeit der Verhaftung sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befand
oder unter Polizeiaufsicht stand oder wenn gegen den Verhafteten auf Grund des
Reichs-Gesetzbl. 1904. 65
Ausgegeben zu Berlin den 29. Juli 1904.