Die Wehrpflicht. (8. 54.) 101
stimmung des 8. 11 a. a. O. können! jedoch Personen, welche das Reichsgebiet verlassen
und die Reichsangehörigkeit verloren, eine andere Staatsangehörigkeit aber entweder nicht
erworben oder wieder verloren haben, dann zur Erfüllung der Wehrpflicht herangezogen,
jedoch im Frieden nicht über das vollendete 31. Lebensjahr hinaus im Dienste zurilck
gehalten werden, wenn sie ihren dauernden Aufenthalt in Deutschland nehmen, und dies
gilt auch von den Söhnen ausgewanderter und wieder in das Deutsche Reich zurück-
gekehrter Personen, sofern die Söhne keine andere Staatsangehörigkeit erworben haben.
Dieselben Bestimmungen finden auch Anwendung auf Ausgewanderte, welche zwar eine
andere Staatsangehörigkeit erworben hatten, aber vor vollendetem 31. Lebensjahre wieder
Reichsangehörige werden (Wehrordnung, §. 21).: Da nach den Bestimmungen des Reichs-
gesetzes v. 1. Juni 1870 (B. G. Bl. 1870, S. 355 ff.) Deutsche, welche die Reichs-
angehörigkeit verloren haben, auch wenn sie ihren bleibenden Aufenthalt wieder im Bundes-
gebiete nehmen, die Reichsangehörigkeit nicht von selbst wieder erwerben, auch durch kein
Gesetz verpflichtet werden, diesen Wiedererwerb zu beantragen, nach Art. 57 der Reichs-
verfassung aber nur die Reichsangehörigen wehrpflichtig sind, würden sie ohne die Be-
stimmung im §. 11 des Reichsmilitärgesetzes in der Lage sein, sich und ihre Deszendenz
von der Wehrpflicht frei zu halten. In dieser Beziehung bemerkte der Präsident des
Reichskanzleramtes, Staatsminister Delbrück, „daß es eben die Absicht des §. 11 sei,
dieses Privilegium der Heimatlosigkeit aufzuheben“. Das Nähere bestimmt im einzelnen
Falle die Ersatzbehörde dritter Instanz (Wehrordnung, §. 21, Z. 2, Abs. 4).
Wer vom Auslande eingewandert ist und die Staatsangehörigkeit in einem Staate
des Deutschen Reiches erworben hat" (§F. 10 des Reichsgesetzes v. 1. Juni 1870), wird
nach Maßgabe seines Lebensalters wehrpflichtig, und es erfolgt die Regelung der Dienst-
pflicht solcher Eingewanderten nach denselben Grundsätzen, wie bei allen übrigen Wehr-
pflichtigen. (Wehrordnung, §. 21, Z. 1.)
IV. Auf diesem verfassungsmäßigen Grundsatze der Wehrpflicht aller Deutschen ist
in Übernahme und Ausbau der großen preußischen Traditionen das deutsche Reichs-
heer in seiner Organisation aufgebaut. Die Grundlage dieser Organisation ist das
stehende Heer als „Schule der Nation“ für Krieg und Frieden, dessen Friedens-
präsenzstärke durch Gesetz, jetzt v. 15. April 1905 (R. G. B. 247), festgestellt ist,
dessen Kriegsformationen durch die Mannschaften der Reserve und Landwehr (Sec-
wehr) gebildet werden. Als Oberbau über diesem Heere steht sodann der Rahmen eines
zweiten Heeres, die Ersatzreserve, weiterhin der Rahmen eines dritten Heeres, der
Landsturm (s. dazu S. 133 ff). Die aus der Wehrpflicht folgende Pflicht zum
Dienste mit der Waffe besteht nur für diejenigen, welche hierzu körperlich und geistig
tauglich sind. Eine versuchsweise Einstellung kann erfolgen, wenn Gebrechen behauptet
sind, aber den Ersatzbehörden nicht als vollständig erwiesen erscheinen (Wehrordnung,
§. 43, Z. 3). Militärpflichtige, welche wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen dauernd
1 Durch die Fassung: „können usw.“ ist eine845. Über die Beziehung des Art. 4 des Staats-
besondere Rücksichtnahme in dazu geeigneten Fällen
offen gelassen. (Vgl. die Motive zum §. 11 des
Entw. des Reichsmilitärgesetzes, Stenogr. Ber. des
Reichstages 1874, Bd. III, Aktenst. Nr. 9, S. 51).
Bgl. Siegel in Hirths Ann. 1893, S. 789;
Laband, Bd. IV. S. 133, N. 2. Über die
Ausweisung solcher Personen und das dadurch
bewirkte Erlöschen der Wehrpflicht s. Entsch. d
O. B. G., XXXV, S. 418 ff.
2 Diese Bestimmungen des §. 11 des Reichs-
militärgesetzes beziehen sich nur auf den Fall,
wenn ehemalige deutsche Reichsangehörige über-
haupt keinem Staatsverbande angehören, nicht
aber auf dicejenigen, welche sich im Besitze einer
fremden Staatsangehörigkeit im Gebiete des D.
Reiches aufhalten, vgl. Seydel in Hirths Ann.,
Jahrg. 1875. S. 1435.
* Stenogr. Ber. des Reichstages 1874, S.
vertrages v. 12. Febr. 1868 mit den Vereinigten
Staaten von Amerika (B. G. Bl. 1868. S.
228) zu dem §. 11 des Reichsmilitärgesetzes vgl.
die Verhandlungen in der Sitzung des Reichstages
v. 16. April 1874 (Stenogr. Ber. 1874, Bd. II,
S. 844 ff.) und insbesondere die Erklärung des
Präsidenten d. Neichskanzleramu, Staatsministers
Delbrück (a. a. O., S. 845). Den vor Er-
füllung der Militärpflicht bezw. unter Umgehung
derselben nach den Vereinigten Staaten von Nord-
amerika ausgewanderten Personen, welche das
dortige Bürgerrecht erworben haben, soll im Falle
ihrer Rückkehr nur ein nach Lage des Falles auf
Wochen oder Monate zu bestimmender Aufenthalt,
nicht aber die dauernde Niederlassung im In-
lande gestattet werden. Verf. des preuß. M. d.
Inn. v. 1. Febr. 1901 M. Bl., S. 100).
4 S. dazu Bd. I, S. 61# ff.