Die Wehrpflicht. (8. 54.) 107
klassen nach dem Dienstalter eingeteilt (Wehrordnung, 8. 11, Z. 2). Während dieser Zeit
können die Mannschaften zum Dienste nur insofern einberufen werden, als a) die jähr-
lichen Ubungen, oder b) notwendige Verstärkungen 1, oder Mobilmachungen des Heeres,
beziehungsweise Ausrüstungen der Flotte dies erfordern (§. 6, Abs. 5). Die Bedeu-
tung der Reserve für die Organisation des Heeres liegt in dem Zwecke,
dem sie bestimmt ist: die Friedensformationen auf Kriegsstärke zu bringen;
die Kriegstüchtigkeit der Mannschaften wird gesichert durch die Übungen
(s. die Zusammenstellung der Vorschriften über diese in der Wehrordnung, §§. 116—118,
über Befreiungen §. 116, Z. 10).
Alle zu Ubungen einberufenen Mannschaften gehören vom Tage, zu dem sie ein-
berufen sind, bis zum Ablaufe des Tages ihrer Entlassung zum aktiven Heere mit allen
sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen, insbesondere was die Geltung des Mil. St. G. B.
und den Militärgerichtsstand betrifft.?
Jeder Reservist ist während der Dauer des Reserveverhältnisses zur Teilnahme
an zwei Ubungen verpflichtet, welche die Dauer von je acht Wochen nicht überschreiten
sollen (§J. 6, Abs. 6). Die gleiche Vorschrift gilt für die südwestafrikanische Schutz-
truppe und für Kiautschou hinsichtlich solcher Reservisten, die in der Kolonie dauernden
Wohnsitz haben, und ihrer aktiven Dienstpflicht ganz oder zum Teil in der Schutztruppe,
beziehungsweise in der Marine genügt haben. Die Schiffahrt treibenden Mannschaften
der Reserve, des Heeres und der Landwehr sollen zu Übungen im Sommer nicht einge-
zogen werden (Kontrollgesetz v. 15. Febr. 1875, §. 4, Abs. 2). Die Offiziere der
Reserve" können während der Dauer des Reserveverhältniss es dreimal zu vier= bis
achtwöchentlichen Übungen herangezogen werden (G. v. 9. Nov. 1867, §. 12, Satz 1).
Die Sceoffiziere der Reserve können nach Maßgabe des Vedarfnisses dreimal zu den
Übungen der aktiven Marine herangezogen werden (§. 13, Z. 4).5 Jede Einberufung
zum Dienste im Heere, beziehungsweise zur Ausrüstung in der Flotte zählt für eine Übung
(§. 6, Abs. 7), ebenso die Zurückbehaltung der nach zweijährigem Dienste zu entlassenden
Mannschaften zur ausnahmsweisen Verstärkung des Heeres (G. v. 3. Aug. 1893, Art. II,
§. 1, G. v. 15. April 1905, Art. I, §. 1). Auch den Offizieren der Reserve, welche
bei außergewöhnlicher Veranlassung (Mobilmachung usw.) zum Dienste einberufen werden,
ist dies als eine Ubung anzurechnen (Kontrollges. v. 15. Febr. 1875, §F. 5).
„Beurlaubtenstand“ in der preuß. Militärgesen= servisten nur auf Befehl des Bundesfeldherrn
ebung für die Mannschaften der Reserve und erfolgen könne (a. a. O., S. 486, Sp. 1). Alle
sonomihr ihre technische Bedeutung haben und Anträge auf Ersetzung der Worte: „notwen-
im s§. 15 des G. v. 9. Nov. 1867 für die dige Verstärkungen“ durch andere Ausdrücke, wie
rechtlichen Verhältnisse der Dienstpflichtigen volle „verfügte Kriegsbereitschaft", „drohende Kriegs-
ständig erläutert seien. (Vgl. den Komm. Ber. gefahr“, „außerordentliche Verhältnisse“, wurden
v. 12. Okt. 1867 in den Stenogr. Ber. des abgelehnt (a. a. O. S. 488), nachdem urst
Reichstages 1867, Bd. II, Aktenst. Nr. 966, S. Bismarck bemerkt batte (d. a. O. 483.
159, Sp. 1). In der Tat ist bei dem Rechts Sp. 1): „Bringen Sie uns nicht in die unan-
charakter der Reserve als Bestandteil des stehenden nehmbare Lage, daß Deutschland die einzige große
Heeres der Ausdruck „beurlaubt“ der richtige. Militärmacht sei, welche durch Einberufung eines
1 Die Worte: „notwendige Verstärkungen" # einzigen Reservisten legal ihre Absicht Krieg zu füh-
gaben sowohl in der Kommission, als im Reichs= ren ausspricht und ausussuschen, gezwungen ist.“
tage Veranlassung zu der Besorgnis, daß aus * Vgl. Laband, Bd. IV. S. 159.
denselben eine uneingeschränkte Befugnis der 2 K. V. v. 30. März 1597. 8. 7; K. V. v.
Militärverwaltung hergeleitet werden könne, über 27. Febr. 1899. Z. 4.
die Mannschaften der Reserve zu verfügen. Von * S. Über dieses Verhältnis S. 119.
dem Reichstagsabgeordneten Graf Moltke wurde 5 Die Zeitdauer dieser Ubungen ist gesetzlich
jedoch hiergegen geltend gemacht, daß cs sich hier nicht festgestellt, da — wie die Motive zum §. 13
nicht um die Einziehung von einzelnen Indivi- des Gesetzentwurfes bemerken — die Kriegsschiffe,
dnen, sondern nur um die von ganzen Kategorien wenn sie zur Ausführung ihrer Ubungen in See
handle und daß es daher nicht erforderlich sei, kreuzen oder Fahrten machen, auf den Ablauf einer
die einzelnen Leute gegen Willkür der Militär= für eingeschiffte Secoffiziere der Reserve oder Seewehr
behörden sicher zu stellen. (Vgl. Stenogr. Ber. festgesetzten Ubungsfrist nicht Rücksicht nehmen
des Reichstages 1867, Bd. I, S. 478, Sp. 11. können: auch steht die Dauer der Ubung mit der
Fürst Bismarck hob seinerseits den Schurx her- Tualifikation und den persönlichen Verhältnissen der
vor, welchen der §. 8 des G. v. 0. Nov. 1867 Beteiligten in Verbindung (Stenogr. Ber. d. Reichs-
dadurch gewähre, daß die Einberufung der Re# tages 1367, Bd . II, Aktenst. Nr. 18, S. 57, Sp. 1).