Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Die Wehrpflicht. (8. 54.) 113 
VII. Die Reservisten dienen zur Ergänzung des Heeres; die Landwehr 
dagegen wird in besonderen Formationen organisiert, welche in erster Linie 
zum Schutze des heimischen Bodens zu verwenden sind. Das hierin liegende, 
im Wehrgesetz ausgesprochene Prinzip hat im übrigen auf die Dienstpflicht selbst keinen 
Einfluß und ist dadurch durchbrochen, daß a) für die Spezialwaffen in der Regel keine 
besonderen Landwehrformationen gebildct werden; b) daß im Kriege auch Landwehrleute in 
die Linienregimenter eingestellt werden dürfen und ein Übertritt von der Reserve zur 
Landwehr überhaupt nicht stattfindet (Ges. v. 9. Nov. 1867, §§. 5, 14. Dazu jetzt Ges. 
v. 15. April 1905, Art. II, 8. 3). 
Reservisten und Landwehrleute, die bei Mobilmachungen oder besonderen Verstärkungen 
des Heeres einberufen sind, erhalten neben ihrer reglementmäßigen Verpflegung und Löhnung 
noch besondere Unterstützungen für ihre Familien nach Maßgabe des Reichsgesetzes v. 
28. Febr. 1888 (R. G. B., S. 59) aus Reichsfonds; durch Reichsgesetz v. 10. Mai 1892 
(R. G. B., S. 661) ist ein analoger Anspruch auch für Friedensübungen anerkannt 
worden (s. dazu Verordnung des Bundesrats v. 12. Dez. 1898, R. G. B., S. 1305). 
Bei eintretender Mobilmachung haben alle Personen des Beurlaubtenstandes, die 
sich im Ausland befinden, sofort ins Reichsgebiet zurückzukehren (R. Mil. G., §. 58). 
Im Frieden! können jedoch Personen der Rerserve, Land= und Seewehr, Ersatzreserve, 
welche nach außereuropäischen Ländern gehen wollen, auf zwei Jahre von den dienstlichen 
Obliegenheiten durch die Bezirkskommandos, Offiziere durch den Brigadekommandeur, be- 
freit werden; weisen sie durch Konsulatsatteste nach, daß sie im Ausland eine feste 
Erwerbsstellung haben, so kann sich diese Befreiung auf die Zeit bis zum Ende des 
Militärverhältnisses erstrecken und auch die Befreiung von der Rückkehr im Fall der Mobil- 
machung umfassen; die Küsten des Mittelländischen und Schwarzen Meeres gelten nicht als 
außereuropäische Länder (R. Mil. G., §. 59; G. v. 11. Febr. 1888, Art. II, 8§. 11, 20, 
dazu nähere Vorschriften Wehrordnung, F. 111, Ziff. 3—5); für die Land- und Seewehr 
zweiten Aufgebotes gilt die letztere Beschränkung nicht. 
Die Einberufung der Mannschaften des Beurlaubtenstandes erfolgt auf kaiserlichen 
Befehl?; nur zu den jährlichen Ubungen, und wenn Teile des Reichsgebietes in Kriegs- 
zustand erklärt sind, durch die kommandierenden Generale. 5 
C. Besondere Vorschriften bezüglich des Militärdienstes, speziell der einjährig- 
freiwillige Dienst (Wehrordnung, §§. 88—97). 
Von der im Art. 59 der Reichsverfassung und im §. 6, Abs. 2 des Gesetzes v. 
9. Nov. 1867 ausgesprochenen Regel, daß die Mannschaften während der ersten drei, 
beziehungsweise zwei Jahre ihrer Zugehörigkeit zum stehenden Heere, beziehungsweise 
zur Flotte, zum ununterbrochenen aktiven Dienste verpflichtet sind, finden folgende Aus- 
nahmen statt: 
1. Junge Seeleute von Beruf“ und Maschinisten, welche beim Eintritt in das 
dienstpflichtige Alter die Qualifikation zum Einjährig-Freiwilligen (s. zu III.) erlangt, 
oder welche das Steuermannsexamen abgelegt haben 5, genügen ihrer Verpflichtung für 
1 S. hierzu auch S. 107 ff. 
: Die Motive zum §. 8 des G. v. 9. Nov. 1867 
bemerken: „Wenn nach Art. 11 der R. Verf. 
dem Kaiser die Entscheidung über Krieg und 
Frieden zusteht, so kann auch dem Kaiser allein 
die Berechtigung zur Einberufung der Reserve 
und Landwehr zuerkannt werden“ (Stenogr. Ber. 
des Reichstages 1867, Bd. II, Aktenst. Nr. 18, S. 56)0. 
„ Die Motive zum §. 8 des Entw. des G. 
v. 9. Nov. 1867 bemerken hierzu: „Für den 
Fall, daß Teile des Bundesgebictes in Rriegszu- 
stand erklärt werden, sind nach Art. 68 der 
R. Verf., bezw. nach Vorschrift des preuß. G. 
v. 4. Juni 1851 die kommandierenden Generale 
d. Rönne-Zorn, Preuß. Staatsrecht. 
  
5. Aufl. II. 
  
zu der hier in Rede stehenden Einberufung be- 
fugt“ (Stenogr. Ber. des Reichstages 1867, 
B. II, Aktenst. Nr. 18, S. 56). 
Nänlich solche, welche bei ihrem Eintritte 
in das dienstpflichtige Alter mindestens ein Jahr 
auf deutschen Handelsoschissen gedient, oder die 
Seefischerei eben so lange gewerbsmäßig betrieben 
haben. Vgll. G. v. 9. Nov. 1867, é&. 13, 
—mkst 
* Der Ausweis hierüber erfolgt durch das 
Zeugnis einer Kommission für die Prüfung der 
Steuerleute auf deutschen Kauffahrteischiffen über 
die Befahigung zum Steuermann auf großer 
Fahrt (Wehrordnung, §. 88, Ziff. 3). 
8
	        
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