132 Das Staatsbürgerrecht. (8. 54.)
X. Für den Militärersatz im Kriege — nach erfolgter Mobilmachung — gelten
die besonderen Vorschriften der Wehrordnung, §§. 95 —99, die ein sehr abgekürztes
Verfahren vorschreiben.
E. Die Ersatzreserve.
I. Die Ersatzreserve ist durch das Gesetz v. 11. Febr. 1888, Art. II, §§. 8—19
und 22 vollkommen neugestaltet worden (s. dazu auch Wehrordnung, 8§. 13, 18, 117)
und dadurch insbesondere die frühere Unterscheidung in zwei ihrem militärischen Inhalte
nach sehr verschiedene Klassen in Wegfall gekommen. Die Bedeutung der Ersatzreserve
in der heutigen deutschen Militärorganisation besteht ausschließlich darin, daß die Ersatz-
reserve dem Heere und der Flotte die Mannschaften zu liefern hat, welche erforderlich
sind, um Heer und Flotte auf die Kriegsstärke zu bringen, beziehungsweise auf
ihr zu erhalten; diesem Zwecke — „Zur Ergänzung des Heeres bei Mobilmachungen
und zur Bildung von Ersatztruppenteilen"“ — dient in erster Linie die ordentliche Re-
serve, eventuell die Ersatzreserve (§. 8 a. a. O.). Dies ist der Sinn der Vorschrift,
daß der Ersatzreserve diejenigen militärdiensttauglichen Wehrpflichtigen überwiesen werden,
welche als Uberzählige nicht zur Einstellung gelangen (§. 9, Abs. 2), und daraus er-
klärt sich die weitere Vorschrift, daß mit sieben Jahresklassen der Ersatzreserve
der einmalige Bedarf der Mobilmachung des Heeres und der Flotte gedeckt
sein soll (§. 9, Abs. 1); der dann noch verbleibende überschuß wird dem Landsturm
überwiesen.
II. Der Ersatzreserve sind zu überweisen (Wehrordnung, §. 40):
1. In erster Linie diejenigen Personen, welche zum Dienst im stehenden Heere
tauglich befunden, aber als „Überzählige“ bis zu dem auf das dritte Militär-
pflichtjahr folgenden 1. Februar nicht zur Einstellung gelangt sind.
Die Überweisung erfolgt an dem genannten Zeitpunkt — erforderlichenfalls unter
Verteilung auf eine andere Waffengattung — ohne weiteres.
2. Der etwaige weitere Bedarf an Ersatzreservisten ist zu entnehmen:
a) aus der Zahl derjenigen tauglichen Militärpflichtigen, denen die im §F. 32,
2à bis e der Wehrordnung enthaltenen Berücksichtigungsgründe nach Entscheidung der
verstärkten Oberersatzkommission in ihrem dritten Militärpflichtjahre zur Seite stehen, in-
sofern die häuslichen Verhältnisse für den Fall eines Krieges eine weitergehende Berück-
sichtigung nicht gerechtfertigt erscheinen lassen (im übrigen siehe §. 73, 1);
b) aus der Zahl derjenigen Militärpflichtigen, welche wegen geringer körperlicher
Fehler nur bedingt tauglich befunden und aus diesem Grunde von der Ableistung der
aktiven Dienstpflicht befreit werden, ohne Rücksicht auf das Militärpflichtjahr, in welchem
sie sich befinden;
c) aus der Zahl derjenigen Militärpflichtigen, welche wegen zeitiger Dienstuntaug-
lichkeit (§. 31) zurückgestellt worden sind, und auch im dritten Militärpflichtjahre noch
zeitig untauglich befunden werden, deren Kräftigung aber während der nächstfolgenden Jahre
in dem Maße zu erwarten ist, daß sie den Anstrengungen des Dienstes gewachsen sind.
3. Für die überweisung zur Ersatzreserve ist die vorstehende Reihenfolge maß-
gebend. Ist Überschuß vorhanden, so erfolgt die Überweisung der Überschüssigen an den
Landsturm ersten Aufgebotes (Ges. v. 11. Febr. 1888, Art. II, 8. 9).
4. Taugliche Militärpflichtige römisch-katholischer Konfession, welche die Subdiakonats=
weihe empfangen haben (§. 29, 10), sind der Ersatzreserve zu überweisen (s. S. 131,
unter IX. und Ges. v. 8. Febr. 1890).
5. Die ausnahmsweise liberweisung anderer als der unter Ziffer 1, 2 und 4
bezeichneten tanglichen Militärpflichtigen zur Ersatzreserve kann durch die Ersatz-
behörden dritter Instanz verfügt werden, wenn besondere, nicht ausdrücklich vorgesehene
Billigkeitsgründe eine Befreiung von der Ableistung der aktiven Dienstpflicht gerechtfertigt
erscheinen lassen (Ges. v. 11. Febr. 1888, Art. II, S. 70).