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folgte.
Das Staatsbürgerrecht. (8. 55.)
Die Einführung bisher nicht bestandener Bevorzugungen würde dem Art. 101,
Abs. 1 der Verfassungsurkunde zuwiderlaufen und nur auf dem Wege der Verfassungs=
änderung erfolgen können. Den physischen Personen stehen bezüglich der Steuer-
pflicht grundsätzlich die juristischen Personen gleich?; die Ergänzungssteuer
findet jedoch auf sie keine Anwendung.
Gänzliche Befreiung von Staatssteuern und Abgaben genießen 1. die Mitglieder
des Königlichen Hauses , welchen in dieser Beziehung die Mitglieder des fürstlich Hohen-
zollernschen Hauses ausdrücklich gleichgestellt worden sind?;
2. den Mitgliedern der
Familien des hannöverschen Königshauses, des kurhessischen Fürstenhauses und des herzog-
lich nassauischen Fürstenhauses sowie des schleswig -holsteinschen Fürstenhauses ist die
Befreiung von Entrichtung der Einkommensteuer zugestanden; auch sind die im Besitze
derselben befindlichen Gebäude, insoweit solche seither von der Häuser= oder Grundsteuer
befreit waren, der Gebäudesteuer nicht unterworfen; ebenso sind diese Familien von der
Art, nämlich entweder solche, die gewissen Klassen
von Personen oder Gegenständen durch das Steuer-
gesetz verliehen worden sind (jura singularia),
oder solche, welche einzelnen Personen, die nach
dem Gesetze der Steuer unterworfen sein würden,
auf Grund eines speziellen Titels zukommen
(privilegia im eigentlichen Sinney. Schon in
dem Finanzedikt v. 27. Okt. 1810 ist das Prin-
zip, daß die Abgaben von jedermann nach gleichen
Grundsätzen getragen werden und alle Exemtionen
fortfallen sollen, allgemein ausgesprochen. Die
Gesetzgebung hat indes mit jenem Prinzip Steuer-
befreiungen als jura singularia nicht für un-
vereinbar erachtet, und in den Steuergesetzen
(z. B. im §F. 1 des Klassensteuergesetzes v. 30.
Mai 1820, im §. 3 des Stempelstenergesetzes
vom 7. März 1822) kommen dergleichen mehrfach
vor. Wenn aber §. 3, A. L. R., 11I, 14 sagt,
„daß über die Frage, welchen Klassen von Lan-
descinwohnern oder Besitzungen die Befreiung
von einer oder der anderen Art der Staatsab-
gaben zukomme, nach Verschiedenheit der Pro-
vinzen in den besonderen Gesetzen derselben be-
stimmt sei“, so ist jetzt, nachdem die Stenern in
allen Teilen des Staates gleichförmig und all-
gemein reguliert worden sind, die Bestimmung
über die Befreiungen nicht mehr in den Provin-
zialgesetten zu suchen. Die in Hinsicht der
Grundstener bestandene Ausnahme für die
Rittergüter ist durch das G. v. 21. Mai 1861
((G. S., S. 253 ff.) beseitigt. Dafür wurde
grundsätzlich Entschädigung gewährt gemäß G. v.
21. Mai 1861 (G. S., S. 327). Als daun später
die Grundsteuer als Staatesteuer überhaupt aufge-
hoben wurde, mußten diese Entschädigungen zurück-
bezahlt werden, G. v. 11. Juli 1893, §. 18 ff.; s.
hierzu G. Meyer, Verw. R., Bd. II, S. 226, N. 6.
1 Ob die im §. 6 des G. v. 1. Mai 1851,
betreffend die Einführung einer Klassen und
klassifizierten Einkommenstener (G. S., S. 19./,
ausgesprochenen Befreiungen gewisser Perso-
nen, beziehungsweise ihrer Angehörigen, von
der Klassensteuer ohne Ausnahme nämlich die
Befreinngen gewisser Personen des Soldaten-
slandes, derjenigen, welche über 60 Jahre alt sind,
der Inhaber des eisernen Krenzes, der Teilnehmer
der Feldzüge von 1806—1815), mit dem Grund-
sauc des Art. 101 der Verf. Urk. vereinbar waren,
konnte zweifelhaft erscheinen. Heute gelten hier-
über nur die Vorschriften des G. v. 25. Juni
1891 u. 14. Juli 1893; vgl. Schwart, Verf.
Urk., S. 309. — Da Steuerbefreiungen als eigent-
liche Privilegien mit dem bereits durch das
Finanzedikt v. 27. Okt. 1810, und wiederholt in
dem Art. 101 der Verf. Urk. sanktionierten Prin-
zip im Widerspruche stehen, so muß angenommen
werden, daß cs den Grundsätzen der Verfassung
widerstreitet, wenn das Gesetz zuläßt, dergleichen
durch Verträge oder ausdrückliche Privilegien,
oder durch Verjährung erwerben zu können, wie
dies nach den Ss. 4—6, A. L. R., II, 14 der
Fall war. Mit Recht haten daher die Gesetz-
revisoren schon bei der Revision des A. L. R. be-
antragt, die 8§. 4—6, A. L. R., II, 14 hiernach ab-
zuändern. Vgl. Ges. Rev. Pens. XII. Motive
zu §S§S. 3—8, A. L. R., II, 14, S. 105—106.
2 Gew. St. G., §. 19, Eink. St. G., F. 1,
Ziff. 4, 5, §. 2, Abs. 2. (Aktiengesellschaften,
Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerk-
schaften mit Sitz in Preußen; eingetragene Ge-
nossenschaften, deren Geschäftsbetrieb über den
Kreis ihrer Mitglieder hinausgeht; Konsumvereine
mit offenem Laden mit den Rechten der juristischen
Person.) Uber das Steuerprivileg der Reichsbank
und ihrer Zweigstellen s. Reichsbankges. v. 14. März
1875, §. 21, dazu Laband, St. R., Bd. III, S.
147: Zorn, St. R., Bd. II, S. 367. Uber die
prinzipielle Frage der Besteuerung der Erwerbs-
gesellschaften, die in neuerer Zeit lebhaft um-
strinen ist, insofern es sich um Einkommen
der Gesellschaft fragt, s. Fuisting, Grund-
züge der Steuerlehre, §. 39 ff., bes. §. 75, sowie
in der D. Jur. Ztg., Bd. VII, S. 312 f., 561 ff.,
sowie die hier zit. Entsch. d. O. V. G.; vygl.
ferner Gierke, Genossenschaftstheorie u. Recht-
sprechung, S. 331 ff.; Herrfurth in Conrads
Handw. B., Suppl. 1, S. 603 f.; Stier-
Somlo, Bürgerrecht, S. 59 ff. in eingehender
Kritik der Rechtiprechung des O. V. G.
2 Hinsichtlich der Person des Landesherrn
kann rechtlich von einer Steuerpflicht, und
mithin auch von einer Steuerbefreiung über-
haupt nicht die Rede sein; s. hierüber Bd. I,
S. 216. Die Steuerbefreiung der Mitglieder des
Konigl. Hauses ist ausdrücklich anerkannt in dem
Allerh. Erlaß v. 11. Aug. 1852 (G. S., S. 771)
jezt Eink. St. G., §. 3; Ergänz. St. G., 8. 3.
Allerh. Erlaß v. 14. Aug. 1852, sub 3
(G. S., S. 771), jetzt die oben Note 3 zitierten
Vorschriften.