168 Das Staatsbürgerrecht.
(§. 57.)
sein soll. Solche Beschlagnahmen können entweder bei Gelegenheit von Durchsuchungen,
beziehungsweise Haussuchungen vorkommen, oder außerhalb dieser Fälle. Ersteren Falles
unterliegen sie denjenigen Bestimmungen, welche hierüber in den §§. 108—110 der
Reichsstrafprozeßordnung? vorgeschrieben sind. Abgesehen hiervon ist aber eine Beschlag-
nahme von Papieren und Briefen sowohl im Laufe einer gerichtlichen Untersuchung, und
zwar in jeder Lage derselben, insbesondere auch in der gerichtlichen Voruntersuchung, als
auch schon in dem Vorbereitungsverfahren, mithin auch zu dem Zwecke zulässig, um die
Spuren einer Straftat zu ermitteln und zu verfolgen, stets aber nur, wie der Art. 6 der Ver-
fassungsurkunde ausdrücklich gewährleistet, in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen.
Was insbesondere die Beschlagnahme von Briefen betrifft, so hatte die Verfassungs-
urkunde im Art. 33 bestimmt, daß das Briefgeheimnis unverletzlich ist, und daß die
bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen notwendigen Beschränkungen
durch die Gesetzgebung festzustellen sind; in gleicher Weise hat der §. 5 des Gesetzes v.
28. Okt. 1871 über das Postwesen des Deutschen Reiches" bestimmt, daß das Brief-
geheimnis unverletzlich ist und daß die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kon-
kurs= und zivilprozessualischen Fällen notwendigen Ausnahmen durch ein Reichsgesetz fest-
zustellen sind. Das gleiche Prinzip ist auch für das Telegraphenwesen nunmehr gesetzlich
festgestellt, nämlich durch Gesetz v. 6. April 1892, §. 8.
Die reichsrechtliche Regelung des Gegenstandes ist demnächst für Strafsachen durch
die §8. 99—101 der Reichsstrafprozeßordnung v. 1. Febr. 1877, und für Fälle des
Konkurses durch den §. 111 der Konkursordnung v. 10. Febr. 1877, jetzt §. 121 des
Gesetzes v. 17. Mai 1898, erfolgt.
1 Über die Abweichungen in der Fassung des
Art. 6 der Verf. Urk. von dem Art. 6 der oktroy.
Verf. Urk. v. 5. Dez. 1848 in dieser Beziehung
vgl. S. 162, N. 2.
à Vgl. S. 163 ff.
/„ Über die Bestrafung der Post-oder Telegraphen-
beamten und anderer mit der Beaufsichtigung und
Bedienung der öffentlichen Telegraphenanstalten be-
trauten Personen, welche sich der Verletzung des
Brief= oder Telegraphengeheimnisses, wie auch der
Unterdrückung von Briesen oder telegraphischen De-
peschen schuldig machen, vgl. §§. 354, 355 und
358 des Reichsstrafgesetzbuches. „Das sog. Brief-
geheimnis“, so führte v. Rönne, 4. Aufl., Bd.
1I. S. 51, Anm. 4b wörtlich nach Löwe,
Komm., S. 313, Anm. 1 a aus, „fällt übrigens
keineswegs zusammen mit dem Amtegeheim-
nis, zu dessen Wahrung die Postbeamten gleich
allen anderen öffentlichen Beamten verpflichtet
sind. Gegenstand des Briefgeheimnisses ist nur
derjenige Inhalt der Postsendung, von welchem
(abgesehen von den im Postreglement bezeichneten,
durch den Dienstbetrieb selbst bedingten Aus-
nahmen) auch die Postbeamten selbst nicht Kennt-
nis nehmen dürfen, und somit erstreckt sich
das Briefgeheimnis weder auf diejenigen An-
gaben, welche sich auf den Adressen der Sendungen,
oder selbst auf den Briefumschlägen usw. befinden,
noch auf die in unverschlossenen Sendungen, z.
B. aus Postkarten, enthaltenen Mitteilungen.
Diese Angaben und Muteilungen sind zwar
Gegenstand des Amtsgeheimnisses, das letztere
schließt aber nur die Erteilung einer Auskunft
an unberusene Personen aun. Demzufolge
sind die Richter und die Staatdanwaltschaft be-
fugt, über die von den Postbeamten amtlich in
Erfahrung gebrachten, dem Amtegeheimnis
unterliegenden Tatsachen, z. B. über den Ein-
gang eines Briefes oder den Inhalt einer Post-
karte, Auskunft zu verlangen und von den die
Postsendungen betreffenden Eintragungen in die
amtlichen Bücher Kenntnis zu nehmen; ein hier-
auf bezlgliches Ersuchen ist lediglich nach den
allgemeinen Vorschriften (ugl. §. 96 u. 93 der
Reichsstrafprozebordnung), nicht aber nach den
die Beschlagnahme behandelnden Vorschriften
der §#§. 90—101 der Reichsstrafprozeßordnung
über die Beschlagnahme von Postsendungen und
Telegrammen zu beurteilen. Somit greift auch
hinsichtlich der gedachten Auskunfterteilung
der im 8. 100 a. a. O. bezeichnete Unterschied
zwischen dem Gericht und der Staatsanwalt-
schaft (vgl. §. 159 a. a. O.) nicht stat, und
zwar auch dann nicht, wenn es sich um eine erst
bevorstehende Sendung und somit um eine von
den Postbeamten erst zu machende Wahrnehmung
handelt.“ Dieser Ansicht stimmt auch Schwart,
Komm., S. 113 f. zu. Für Telegramme bestimmt
aber §. 8 des Tel. G. ausdrücklich: Das Tele-
graphengeheimnis „erstreckt sich auch darauf,
ob und zwischen welchen Personen tele-
graphische Mitteilungen stattgefunden
haben.“ Der gleiche Grundsatz wird aber auch,
im Gegensatz zu Löwe= v. Rönne, für das Brief-
ceheimnis behauptet werden müssen. Brief= und
Peegraphengeheimnie sind nichts ande-
res als ein besonders qualifiziertes, ver-
stärktes Amtsgeheimnis,dasauch Adressen,
Postkarten usw. umfaßt. Bgl. hierüber La-
band, St. R., III, 57 ff.; Zorn, St. R., Bd. II,
S. 264; Sydow, a. a. O., S. 245; Dambach-
v. Grimm, Ges. üb. d. Postwesen, 6. Aufl. (1901),
S. 59, 60.
* R. G. Bl. 1871, S. 347. — Wörtlich
dieselbe Bestimmung enthielt bereits der F. 58
des nordd. Bundesgesetzes v. 2. Nov. 1867 über
das Postwesen des Nordd. Bundes (B. G. Bl.
1867, S. 61).