170 Das Staatsbürgerrecht.
G. 57.)
Freie Wahl des Aufenthaltsortes und Freizügigkeit.
I. Aus dem im Art. 5 der Verfassungsurkunde ausgesprochenen Prinzip der „Frei-
heit der Person“ folgt der Grundsatz, daß jedem Staatsangehörigen die Befugnis zu-
stehen muß, seinen Aufenthaltsort innerhalb des Gebietes des Staates frei zu wählen
und den gewählten Aufenthaltsort beliebig zu verändern. Indem nämlich der Art. 5
ausspricht, „daß die persönliche Freiheit gewährleistet ist"“, fügt er hinzu, daß „die Be-
dingungen und Formen, unter welchen eine Beschränkung derselben, insbesondere eine
Verhaftung, zulässig ist, durch das Gesetz bestimmt werden“, und hieraus folgt, daß die
Gewährleistung der persönlichen Freiheit sich nicht bloß auf den Schutz gegen gesetz-
widrige Inhaftierung bezieht, sondern vielmehr auf jede Art der gesetzwidrigen Beschrän-
kung des garantierten Rechtes, mithin insbesondere auch auf das in der Freiheit der
Person begriffene Recht der freien Wahl des Aufenthaltsortes.? Da in denjenigen Landes-
teilen des Preußischen Staates, welche demselben zur Zeit des Erlasses der Verfassungs-
urkunde angehörten, das Recht des freien Aufenthaltes, wie das Recht der Freizügigkeit
bereits durch das vor diesem Zeitpunkte für den ganzen damaligen Umfang der Monarchie
ergangene Gesetz vom 31. Dez. 1842 über die Aufnahme neu anziehender Personen?
(das sog. Heimatsgesetz) prinzipiell anerkannt und festgestellt worden war, so hatte in-
soweit das durch den Art. 5 der Verfassungsurkunde allen Preußen zugesicherte Recht
der „Freiheit der Person“ wesentlich nur die Bedeutung einer diesem Rechte gewährten
verfassungsmäßigen Garantie. Für die durch die Gesetze v. 20. Sept. und 24. Dez. 1866
mit der preußischen Monarchie vereinigten Landesteile, in welchen teilweise der Grundsatz
der Freizügigkeit zur Zeit ihrer Inkorporation noch nicht zur vollständigen Geltung und
Ausführung gelangt war, hat das Bundesgesetz — nunmehr Reichsgesetz —
1 Vgl. den Art. „Freizügigkeit“, von E. Meier,
in v. Holtzendorffs Rechtslexikon, Bd. I, S. 138,
und v. Lette in Rottecks und Welckers Staats-
lexikon, 3. Aufl., Bd. V, S. 700 ff., die von
Gneist in Stengels Wörterb. des Verw. R.
in großen Zügen gegebene Entwicklung des Ge-
dankens der Freizügigkeit Bd. I, S. 450:; v.
Stengel, ebendas. Bd. II, S. 163 ff.; Rehm,
in Conrads Handwörterb., Bd. III, S. 672 ff.;
ferner Laband, St. R., Bd. I. S. 137 ff.;
Zorn, St. R., Bd. I, S. 19, 105 ff., 384 fi. 127;
G. Meyer-Anschütz, Lehrb., 6 .Aufl., S k 794 ff.;
Verw. R., Bd. I, S. 118 ff.; Löning, Verw. N.,
S. 261 ff.; Bornhak, Pr. St. N., III, 184, 231:
Arndt, R. St. R., S. 212 ff.; Schwarsz, Verf.
Urk., S. 57 ff.; Bazille-Köstlin, NRecht der
Staatsangehörigkeit, 1902, S.276—325; Wein-
berger, Das Reichegesetz über die Freizügig-
keit, 1905, Kommentar und Gesetzesmaterialien.
* Vgl. hierüber auch v. Aretin u. VNottec,
Staatsrecht der konst. Monarchie, Bd. II,
G. S. 1843, S. 5. — Das G. v g-
Dez. 1842 ist, wie der Eingang desselben be-
stimmt, für den ganzen damaligen Umfang der
Monarchie ergangen, und hat ferner Geseheskraft
erlangt: a) in der vormals bayerischen Enklave
Kauleodorf (Regierungebezirk Erfurt) zufolge des
Art. I der Verordn. v. 22. Mai 1867 (G. S.,
S. 721, und lbi in dem vormals hessen-hom-
burgischen Oberamte Meisenheim (Regierungs-
bezirk Koblenz, zufolge des §. 1 der Verordn. v.
20. Sept. 1867 (G. S. 1867, S. 1534). Da-
gegen hatte dasselbe keine Gesetzeskraft erlangt in
den übrigen im Jahre 1866 mit der preuß. Mon-
archie vereinigten Ländern, obgleich deren An-
gehörige durch die Einverleibung in den preuß.
Staatsverband aufgenommen und daher als Aus-
länder nicht ferner zu behandeln waren (val. Restkr.
des Min. d. Inn. v. 10. Nov. 1866, M. Bl.
d. i. Verw., S. 211). Auch hatte das Gesetz
keine Geltung erlangt für die hohenzollernschen
Lande und die Jadegebiete, für welche gleichfalls
die Einführung desselben nicht angeordnet worden
ist. Das Publik. der Regierung zu Sigmaringen
v. 12. März 1853 (Preuß. Staatsanzeiger 1853,
S. 469) erklärt demgemäß auch, daß durch die
Einverleibung der hohenzollernschen Lande die
für dieselben bestehenden besonderen Vorschriften
über das Heimatwesen, die Niederlassungebefugnis
und die Verheiratung der Inländer nicht geändert
worden und daher nach wie vor zur Anwendung
zu bringen seien. Vgl. auch das Reskr. des Min.
d. Inn. v. 25. Mai 1860 (M. Bl. d. i. Verw.,
S. 115). Diese Dinge haben nur mehr historisches
Interesse. Uber die große grundsätzliche Bedeutung
des auf mehrjähriger Arbeit des Staatsrates
beruhenden Gesetzes v. 31. Dez. 1842 s. Gneist
bei Stengel, Bd. I, S. 453.
* In Schleswig-Holstein bestand bereits vor
der Einverleibung absolute persönliche Zugfreiheit.
welche sich mit einigen Modifikationen auch auf
Aueländer erstreckte. Was dagegen Hannover
betrifft, so erforderte die Verordn. v. 6. Juli 1827
über die Bestimmung des Wohnorts der Unter-
tanen in polizeilicher Hinsicht ldie sog. Domizil-
ordnung] (G. S. für Hannover 1827, Abt. 1,
S. 69) zur Erwerbung des Wohnrechtes ent-
weder Rezeption oder Ansässigmachung, oder
angeborenes Wohnrecht, oder endlich ein Dekret
der Staatsregierung, und statuierte dafür eine
Reihe schwieriger Bedingungen und Voraus-
senungen. Agl. dazur Grefe, Hannovers
Recht, 3. Aufl., Bd. I. S. 298; desgl. Tappen,
Sachregister zur hannöverschen Gesetzsammlung,