Freiheit und Sicherheit der Person. (F. 57.) 173
großen Zahl anderer Einzelstaaten dagegen durften selbst innerhalb des Heimatstaates die
eigenen Angehörigen den Wohnsitz an einem anderen Orte nur dann aufschlagen, wenn
ihnen dies von Staats-, Gemeinde-, beziehungsweise Gutsbehörden gestattet wurde, oder
wenn sie gewisse lästige Bedingungen erfüllten. Diese Hindernisse der Niederlassungs-
freiheit hat nun für den ganzen Umfang des Reichsgebietes das zum Reichsgesetze er-
klärte Freizügigkeitsgesetz v. 1. Nov. 1867 beseitigt. Dagegen erstreckt sich dieses Gesetz
nicht auf Ausländer, die in einem deutschen Staate ihren Aufenthalt zu nehmen beab-
sichtigen?, sondern es ist das Aufenthaltsrecht der Ausländer (der Nichtreichsangehörigen),
einschließlich derjenigen Personen, deren Staatsangehörigkeit nicht ermittelt werden kann,
auch jetzt noch nach den Gesetzen der Einzelstaaten zu beurteilen. Das Recht, sich in
dem Gebiete eines Staates aufzuhalten, ist ein ausschließliches Vorrecht der Angehörigen
desselben, und demzufolge ist es im Deutschen Reiche ein ausschließliches Vorrecht der
Reichsangehörigen, sich in jedem Einzelstaate des Reiches aufzuhalten. Nach den Grund-
sätzen des modernen Völkerrechts wird zwar kein Staat Ausländern den Eintritt in sein
Staatsgebiet überhaupt verbieten 2, wohl aber hat jeder Staat das Recht, Ausländer,
sei es aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, oder weil sie der Armenunterstützung
verfallen, oder aus sonstigen Gründen irgendwelcher Art, des Landes zu verweisen und
wegen begangener strafbarer Handlungen an fremde Regierungen auszuliefern; die Über-
nahme der Ausgewiesenen aber ist eine völkerrechtliche Pflicht des Heimatstaates. Aus-
länder, d. h. solche Personen, die nicht Reichsangehörige find, können: a) auf Verlangen
einer fremden Regierung ausgeliefert werden, wenn sie im Auslande ein Verbrechen be-
gangen haben, und vielen Staaten gegenüber hat das Deutsche Reich vertragsmäßige
Verpflichtungen zur Auslieferung übernommen."“ Ausländer dürfen ferner b) vermöge
polizeilicher Verfügungen aus dem Reichsgebiete ausgewiesen werden; durch ausdrückliche
reichsgesetzliche Bestimmungen ist den Landesverwaltungsbehörden diese Befugnis für den
Fall gewisser strafrechtlicher Verurteilungen beigelegt worden (vgl. Reichsstrafgesetzbuch,
§§. 39, 284, 362). Das Ausweisungsrecht besteht aber nach unbestrittenen staats= und
völkerrechtlichen Grundsätzen auch in allen Fällen, wo die öffentliche Sicherheit eine solche
Maßregel als notwendig erscheinen läßt, und kann auch deshalb in Anwendung gebracht
werden, weil der betreffende Ausländer der inländischen Armenunterstützung verfallen ist.
Das preußische Heimatsgesetz v. 31. Dez. 1842 hatte in dieser Beziehung (§. 6) be-
stimmt, „daß einem jeden, der nicht nachweist, daß er preußischer Untertan ist, die Auf-
nahme von der Gemeinde versagt werden kann“, und diese Bestimmung ist durch das
Freizügigkeitsgesetz v. 1. Nov. 1867 nur insoweit abgeändert, als sie gegenüber den An-
gehörigen der übrigen Staaten des Deutschen Reiches keine Anwendung mehr finden kann.“
1 Vgl. den Ber. der VI. Komm. des Nordd.
Reichstages v. 17. Okt. 1867 in den Stenogr.
Ber. 1867, Bd. II, Aktenst. Nr. 109, S. 187,
u. Hirths Ann., Jahrg. 1868, S. 475.
* G. Meyer-Anschütz, Lehrb., 6. A., S. 807 f.
: Über Einschränkungen, welche die „Grundsätze
des modernen Bölkerrechtes“ selbst in diesem
Punkte neuerdings in der nordamerikanischen
Union und in Australien erfahren haben, (. v.
Liszt, Völkerrecht, 2. A., S. 185 ff.; Abert Zorn,
Grundzüge des Völkerrechts, S. 159.
4 Eine Anzahl dieser Staatsverträge geben
G. Meyer-Anschütz, Lehrb., 6. Aufl., S. 795,
N. 4, u. Laband, Bd. J, S. 142, N. 2 an.
5 Diese Ausführung hat v. Rönne aus
G. Meyer, Lehrb. S. 718 übernommen, hier
auch N. 6 weitere Literaturangaben. Uber die
grundsätzliche Rechtsstellung der Fremden s. auch
— übereinst. mit dem Terxt — Laband, Bd. I,
S. 141; Rehm bei Conrad, Handwörterb.,
Bd. III, S. 672 f.; ferner Entsch. d. O. V. G.,
Reichsangehörige, sind aus Gründen des
Staatswohls Landes zu verweisen.“ Die
Verwaltungsklage wegen Ausweisung steht Aus-
ländern selbstverständlich — L. V. G., §. 130
spricht dies noch besonders aus — nicht zu.
* Das Min. d. Inn. hat in dem Restr. v.
8. Febr. 1873 (M. Bl. d. i. Verw., S. 55)
ausgeführt, daß den Gemeinden gegen den
Aufenthalt eines Ausländers kein unbedingtes
Widersprucherecht zustehe, indem ein solches Wider-
spruchsrecht den Gemeinden nicht einmal bei Er-
teilung von Naturalisationsurkunden an Aus-
länder (§. 8 des G. v. 1. Juni 1870) eingeräumt
worden sei. Der §. 6 des Heimatsgesetzes v.
31. Dez. 1842 gestatte den Gemeinden zwar die
Versagung der „Aufnahme“, also der förmlichen
Niederlassung eines Aueländers, nicht aber die
Versagung des blosten Aufenthaltes. Der 8. 6
ergibt nur, daß ein Ausländer (Nichtreichs-
angehöriger) kein Recht darauf hat, zum Aufent-
halte oder zur Niederlassung in einer preuß.
Bd. XVI, S. 382, wo kurz und klar das Recht Gemeinde zugelassen zu werden; er kann aber,
dahin festgestellt ist:
„Personen, die nicht wenn ihm die Niederlassung nicht versagt wird,