230 Das Staatsbürgerrecht.
(S. 58.)
Zur Hinterlegung der Entschädigungssumme ist der Unternehmer verpflichtet 1. wenn
neben dem Eigentümer Entschädigungsberechtigte vorhanden sind, deren Ansprüche an die
Entschädigungssumme zurzeit noch nicht feststehen; 2. wenn das betreffende Grundstück
Fideikommiß oder Stammgut ist, oder im Lehn= oder Leiheverbande steht; 3. wenn Rcal-=
lasten, Hypotheken oder Grundschulden auf dem betreffeunden Grundstück haften (S. 37).
Hinterlegungsstellen sind die Regierungen, für Berlin die Ministerial-, Militär= und
Baukommission. Die Augzahlung kann jedoch erfolgen ohne Rücksicht auf §. 37; solche
Entschädigungen, welche lediglich die laufenden Nutzungen ersetzen sollen und bei teilweisen
Enteignungen, wenn die in Betracht kommende Summe im Verhältnisse zum Gesamt-
werte des Grundbesitzes eine unbedeutende ist, nach näherer Bestimmung des §. 38 des
Gesetzes. Bezüglich des Verfügungsrechtes hinsichtlich dieser hinterlegten Summe hat
das Gesetz zu weiterer Sicherung der Realberechtigten noch folgende Bestimmungen:
1. wenn das enteignete Grundstück Fideikommiß oder Stammgut war, oder im Lehn-
oder Leiheverbande stand, so ist der Besitzer über die Entschädigungssumme nur nach
den Vorschriften zu verfügen berechtigt, welche in den verschiedenen Landesteilen für die
Verfügungen über derartige Güter und die an deren Stelle tretenden Kapitalien maß-
gebend sind (§. 47); 2. wenn das enteignete Grundstück mit Neallasten, Hypotheken
oder Grundschulden behaftet war, so kann der Eigentümer über die Entschädigungssumme
nur verfügen, wenn die Realberechtigten einwilligen (§. 48).1 Der Eigentümer des
Grundstücks ist jedoch in diesen beiden Fällen befugt, wegen Auszahlung oder Verwendung
der hinterlegten Entschädigungssumme die Vermittlung der Auseinandersetzungsbehörden
für Regulierung gutsherrlicher und bäuerlicher Verhältnisse, Ablösungen und Gemeinheits-
teilungen, d. i. der Generalkommissionen, in Anspruch zu nehmen (§S. 49).55
6. In dringlichen Fällen" kann der Bezirksausschuß auf Antrag des Unternehmers
anordnen, daß die Enteignung noch vor Erledigung des Rechtsweges erfolgen soll; es
muß jedoch vor der Enteignung selbst die durch Beschluß gemäß §. 29 festgestellte Ent-
schädigungs= oder Kautionssumme gezahlt oder hinterlegt worden sein; auch kann die An-
ordnung unter Umständen von der Leistung einer besonderen Kaution abhängig gemacht
werden, und jeder Beteiligte ist nach Bekanntmachung des die Dringlichkeit aussprechen-
den Beschlusses binnen sieben Tagen berechtigt zu verlangen, daß vor Vollziehung der
Enteignung eine gerichtliche Feststellung des Zustandes von Gebäuden und künstlichen
Anlagen stattfinde.¾ Gegen den die Dringlichkeit aussprechenden Beschluß steht inner-
halb dreier Tage der Rekurs an die vorgesetzte Ministerialinstanz, den Minister der öffent-
lichen Arbeiten (§. 34), offen.
7. Die Entschädigungssumme wird an denjenigen bezahlt, für welchen
die Feststellung stattgefund en hat. Wenn der Betrag der Entschädigung im Rechte-
wege erhöht wird, so muß vom Tage der Enteignung an der noch nicht bezahlte oder
hinterlegte Teil der Entschädigungssumme mit 4 Prozent? verzinst werden; wenn dagegen
— —
1 Vgl. die Angaben bei v. Brauchitsch, IV,
S., 40, Nr. 112; Eger, II, S. 412.
: Über §s. 37, 38 . Eger, I, S. 400 fl.
besonders S. 47 ff. über den Einfluß der all-
gemeinen Vorschriften über das gerichtliche Ver-
teilungsverfahren auf das Enteignungsgesetz.
2 Eger, II, S. 505 ff., über die in Betracht
kommenden, durch das B. G. B. — s. besonders
E. G., Art. 59 — unberührt gebliebenen Rechts-
vorschriften besonders S. 508.
1 Eger, II, S. 509 ff., über die schweren Be-
denken gegen diese rigorose Vorschrift S. 510 f., 514.
5 Dazu kommt jetzt das gerichtliche Verteilungs-
verfahren gemäß Art. 35—41 des pr. G. v.
23. Sept. 1899, s. Eger, II, S. 511, falls die
Voraussetzungen des §. 35 des Enteignungsge-
setzes gegeben sind; über die Auseinandersetzungs-
behörden s. L. V. G., S8. 16, 23, 41 Abs. 2;
155 Abs. 2, Verfahren nach §#s. 110 — 112 des
G. v. 2. März 1850. Vgl. über die General-
kommissionen auch unten F. 88.
* Der §. 49 hat im Kreise Herzogtum Lauen-
burg keine Geltung (vgl. Art. Vo des G. v. 28. April
1875, Offiz. Wochenbl. für Lauenburg 1875,
Nr. 21, S. 291), ebenso gilt er gemäß Abs. 3
nur in eingeschränkter Weise für das linke Rhein-
ufer, für Hannover und einen Teil des Regierungs-
bezirks Wiesbaden.
* Uber den bedeutenden Zeitaufwand, den die
einzelnen Stadien des Enteignungsverfahrens be-
dingen, s. Eger, II, S. 5 ff., besonders auch
die auf tunlichste., Beschleunigung abzielenden
Ministerialerlasse. über s. 34 Eger, II, S. 359 ff.
„Eger, II, S. 370 ff., vgl. Z. P.O. SSF. 485—494.
* Gemäß B. G. B. §. 246 m. pr. A. G.,
Art. 10, s. Eger, I, S. 390