Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze. (8. 50.) 15 
mit Absicht auf den rein deistischen Standpunkt gestellt hat. Die ganze Frage wird 
übrigens viel zu eng gefaßt, wenn man sie lediglich als eine Frage der Juden behandelt; 
sie bezieht sich ganz ebenso auf Atheisten, sowie auf die den Eid verwerfenden christlichen 
Sekten; dazu kommen in den Kolonien Heiden und Mohammedaner. Später hat so- 
dann der Justizminister die Erklärung abgegeben, daß er die Berechtigung von Juden 
zur Anstellung im Richteramte anerkenne.: Parlamentarische Erörterungen der Frage 
haben noch wiederholt stattgefunden, zuletzt bei der Etatsberatung im Jahre 1901.3 
Zum Rechtsstudium und zur Rechtsanwaltschaft müssen Juden auf Grund des Reichs- 
und Landesrechtes in unbeschränkter Weise zugelassen werden; eine grundsätzliche Aus- 
schließung derselben von der Anstellung im Bereiche der Justizverwaltung überhaupt und 
insbesondere in Richterämtern würde dem Reichs= wie dem preußischen Landesrecht wider- 
sprechen; die Anstellung im einzelnen Falle aber ist durchaus Sache des freien Ermessens 
der Regierung, deren Recht und Pflicht es ist, alle hierfür in Betracht zu ziehenden 
Umstände gewissenhaft zu erwägen." #„ 
Was ferner die Berechtigung der Juden zur Anstellung in ÄAmtern des Ressorts 
des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts= und Medizinalangelegenheiten betrifft, so 
kann selbstverständlich kein Zweifel darüber bestehen, daß das Ressort der geistlichen Ab- 
teilung des Ministeriums von der Frage nicht berührt wird, soweit der Vorbehalt des Art. 14 
der Verfassungsurkunde eine Schranke zieht. Dagegen erließ infolge des Staatsministerial- 
beschlusses v. 9. Sept. 18515 der Kultusminister im Jahre 1851 eine Verfügung, durch 
welche den Juden die Anstellung als Lehrer an Gymnasien abgeschnitten wurde.“ Nach- 
dem indes das Staatsministerium zu dem Anerkenntnisse gelangt war, daß die Bestim- 
mungen des §. 2 des Gesetzes v. 23. Juli 1847, als den Art. 4 und 12 zuwider- 
laufend, durch die letztere, gemäß Art. 109 außer Kraft getreten seien, soweit sie nicht 
anderweitig, namentlich im Art. 14, eine verfassungsmäßige Begründung fänden 7, er- 
klärte nunmehr der Kultusminister, „daß im Bereiche der Unterrichtsverwaltung die An- 
stellung der Juden als Lehrer an öffentlichen Schulen und anderen Unterrichtsanstalten bei 
nachgewiesener Befähigung nicht weiter beanstandet werden solle, sofern nicht der christ- 
lich-konfessionelle Charakter der betreffenden Anstalt, welcher durch den Direktor und das 
Lehrerkollegium repräsentiert werde, entgegenstehe, und daß mit der hierdurch bedingten, 
sich von selbst rechtfertigenden Beschränkung, Juden auch zur Absolvierung des sog. 
Probejahres, womit die amtliche Lehrtätigkeit beginnt, zugelassen werden sollten, wogegen 
im Bereiche der Medizinalverwaltung bei Anstellungen ein prinzipieller Unterschied zwischen 
Juden und Christen nichk gemacht werde“." Allein ungeachtet des hiernach abgegebenen 
Anerkenntnisses, daß betreffs der Anstellung der Juden als Lehrer auf das Gesetz v. 
23. Juli 1847 nicht mehr zurückgegangen werden dürfe, wurde doch bald nachher von 
dem Kultusminister diese Erklärung wieder zurückgenommen und die Behauptung auf- 
gestellt, daß, zufolge des Art. 112 der Verfassungsurkunde, die Bestimmungen des Ge- 
setzes v. 23. Juli 1847 über die Zulassung von Juden als Lehrer an Schulen und 
Universitäten bis zum Erlaß des im Art. 26 der Verfassungsurkunde vorgesehenen Unter- 
  
1 Ich halte den Nachweis, den Hubrich, 
a. a. O., S. 82 ff., in dieser Richtung gibt, für 
vollständig und zwingend. 
* Vgl. Stenogr. Ber. des Abg. H. 1869—70 
(Sitz. v. 13. Nov. 1869), S. 513. 
5 Stenogr. Ber. Abg. H. 1901, S.9#28, 1225 ff. 
4 Diesen Standpunkt hat bei den letzten par- 
lamentarischen Erörterungen der Justizminister 
Schönstedt eingenommen und vollkommen zu- 
treffend begründet, s. Stenogr. Ber., a. a. O. 
5 Vgl. S. 11. 
* Diese (dem Datum nach nicht bekannte) 
Berfügung ist nicht publiziert, ihr Erlaß in- 
des von dem Min. zugegeben worden (pugl. die 
Ber. der Petitionskomm. des Abg. H. v. 22. März 
1860 und v. 24. Juni 1862 in den Stenogr. 
  
Ber. 1860, Bd. IV, S. 729 u. 1862, Bd. UWV, 
S. 371). 
*' Vgl. S. 12. 
* Vgl. den Ber. der Petitionskomm. des Abg. H. 
v. 22. März 1860 (Stenogr. Ber. 1860, Bd. 
IV., S. 729—730) und die Verhandl. in den 
Plenarsitz. v. 24. u. 25. April 1860 (a. a. O., 
Bd. II, 851—865, 867—892); desgl. Zentral- 
blatt für die Unterrichtsverw. 1860, Nr. 5, S. 
260; vgl. auch den Ber. der Komm. des Abg. H. 
für das Unterrichtswes. v. 21. April 1860 (in 
den Drucks. 1860, Bd. V, Nr. 189, sub g, S. 
29—33, und in den Stenogr. Ber. 1860, Bd. 
IV, S. 904—906, und die Verhandl. darüber in 
der Plenarsitz. des Abg. H. v. 10. Mai 1860 
(Stenogr. Ber. 1860, Bd. II, S. 1015—23).
	        
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