Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Das Recht der freien Meinungsänßerung. 
(§. 59.) 261 
Die durch das Reichspreßgesetz und durch die Reichsgewerbeordnung gewährleistete 
Preßfreiheit und Freiheit der Preßgewerbe hatte durch das Reichsgesetz v. 21. Okt. 1878 
gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratic 1, welches (nach F. 30 des- 
selben) nur bis zum 31. März 1881 Geltung haben sollte, dessen Geltung jedoch durch 
das Reichsgesetz v. 31. Mai 1880“" bis zum 30. Sept. 1884 verlängert worden war, 
zwar nur auf einem engumgrenzten Gebiete, auf diesem aber tief eingreifende Be- 
schränkungen erlitten. 
Dieses Gesetz ist zwar jetzt in seinem ganzen Umfange durch 
Zeitablauf außer Kraft getreten, die preßrechtlichen Vorschriften desselben sind jedoch 
von so bedeutsamem allgemeinen Interesse, daß deren Wiedergabe auch jetzt noch ange- 
zeigt erscheint. 
  
1 R. G. Bl. 1878, S. 351 ff. 
2 R. G. Bl. 1880. S. 117. 
* Die Bestimmungen des Gesetzes v. 21. Okt. 
1878 waren folgende: a) Druckschriften, in welchen 
sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische, 
auf den Umsturz der bestehenden Staats= oder Ge- 
sellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen in einer 
den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht 
der Bevölkerungsklassen gefährdenden Weise zutage 
treten, sind zu verbieten. Bei periodischen Druck- 
schriften kann das Verbot sich auch auf das fernere Er- 
scheinen erstrecken, sobald auf Grund des Sozialisten- 
gesetzes das Verbot einer einzelnen Nummer er- 
folgt (§. 11 des G. v. 21. Okt. 1878). Zu- 
ständig für das Verbot ist die Landespolizeibehörde, 
bei periodischen im Inlande erscheinenden Druck- 
schriften die Landespolizeibehörde des Bezirks, in 
welchem die Druckschrift erscheint. Das Verbot 
der ferneren Verbreitung einer im Auslande er- 
scheinenden periodischen Druckschrift steht dem 
Reichskanzler zu. Das Verbot ist in allen Fällen 
durch den Reichsanzeiger, das von der Landes- 
polizeibehörde erlassene Verbot überdies durch das 
für amtliche Bekanntmachungen der Behörde be- 
stimmte Blatt des Ortes oder des Bezirkes be- 
kannt zu machen und ist für das ganze Bundes- 
gebiet wirksam (§S. 12 a. a. O.). Das von der 
Landespolizeibehörde erlassene Verbot einer Druck- 
schrift ist dem Verleger oder dem Herausgeber, 
das Verbot einer nicht periodisch erscheinenden 
Druckschrift auch dem auf derselben benannten 
Verfasser, sofern diese Personen im Inlande vor- 
handen sind, durch schriftliche, mit Gründen ver- 
sehene Verfügung bekannt zu machen. Gegen die 
Verfügung steht dem Verleger oder dem Heraus- 
geber, sowie dem Verfasser die Beschwerde zu, 
welche innerhalb einer Woche nach der Zustellung 
der Verfügung bei der Behörde anzubringen ist, 
welche dieselbe erlassen hat, und welche keine auf- 
schiebende Wirkung hat (§5. 13 a. a. O.). Die 
Entscheidung über dergleichen Beschwerden er- 
folgt durch die in Gemäßheit des §. 26 des 
Sozialistengesetzes gebildete Kommission. Auf 
Grund des Verbots sind die von demselben be- 
troffenen Druckschriften da, wo sie sich zum Zwecke 
der Verbreitung vorfinden, in Beschlag zu nehmen. 
Die Beschlagnahme kann sich auf die zur Ver- 
vielfältigung dienenden Platten und Formen er- 
strecken; bei Druckschriften im engeren Sinne 
hat auf Antrag des Beteiligten slatt Beschlag- 
nahme des Satzes das Ablegen des letteren zu 
geschehen. Die in Beschlag genommenen Druck- 
schriften, Platten und Formen sind, nachdem das 
Verbot endgültig geworden ist, unbrauchbar zu 
  
machen. Die Beschwerde findet nur an die Auf- 
sichtsbehörde statt (§. 14 a. a. O.). Die Polizei- 
behörde ist befugt, Druckschriften der im §. 11 
bezeichneten Art, sowie die zu ihrer Vervielfältigun 
dienenden Platten und Formen schon vor Erlaß 
eines Verbots vorläufig in Beschlag zu nehmen. 
Die in Beschlag genommene Druckschrift ist inner- 
halb vierundzwanzig Stunden der Landespolizei- 
behörde einzureichen. Letztere hat entweder die 
Wiederaufhebung der Beschlagnahme sofort anzu- 
ordnen oder innerhalb einer Woche das Verbot 
zu erlassen. Erfolgt das Verbot nicht innerhalb 
dieser Frist, so erlischt die Beschlagnahme und 
müssen die einzelnen Stücke, Platten und Formen 
freigegeben werden (§. 15 a. a. O.). b) Wer 
eine verbotene Druckschrift (§s. 11, 12) oder 
wer eine von der vorläufigen Beschlagnahme 
betroffene Druckschrift (S. 15) verbreitet, fortsetzt 
oder wieder abdruckt, wird mit Geldstrafe bis zu 
1000 Mark oder mit Gefängnis bis zu 6 Monaten 
bestraft (§. 19 a. a. O.). Wer ohne Kenntnis, 
jedoch nach erfolgter Bekanntmachung des Ver- 
bots durch den Reichsanzeiger (§. 12) eine der 
im §. 19 verbotenen Handlungen begeht, wird 
mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft 
bestraft (§. 21, Abs. 1 a. a. O.). Neben der 
Freiheitostrafe kann gegen Personen, welche sich 
die Agitation für die im §. 1, Abs. 2 des Sozialisten- 
gesetzes bezeichneten Bestrebungen zum Geschäfte 
machen, im Falle einer Verurteilung wegen Zu- 
widerhandlungen gegen die 8§8. 19 und 20 auf 
Zulässigkeit der Einschränkung ihres Aufenthaltes 
erkannt werden (§. 22, Abs. 1 a. a. O.), und 
auf Grund dieses Erkenntnisses kann dem Ver- 
urteilten der Aufenthalt in bestimmten Bezirken 
oder Ortschaften durch die Landespolizeibehörde 
versagt werden, jedoch in seinem Wohnsitze nur 
dann, wenn er denselben nicht bereits seit sechs 
Monaten inne hat; Ausländer aber können von 
der Landespolizeibehörde aus dem Bundesgebiete 
ausgewiesen werden, und die Beschwerde findet 
nur an die Aufsichtsbehörden statt (§. 22, Abfs. 2 
a. a. O.). Zuwiderhandlungen werden mit Ge- 
fängnis von einem Monat bis zu einem Jahre 
bestraft (§. 22, Abs. 3 a. a. O.). Unter der im 
§. 22, Abs. 1 bezeichneten Voraussetzung kann 
gegen Buchdrucker, Buchhändler, Leihbibliothekare 
und Inhaber von Lesekabinetten neben der Frei- 
heitsstrafe auf Untersagung ihres Gewerbebetriebes 
erkannt werden (§. 23 a. a. O.). Personen, 
welche es sich zum Geschäft machen, die im §. 1, 
Abs. 2 des Sojialistengesetzes bezeichneten Be- 
strebungen zu fördern, oder welche auf Grund 
einer Bestimmung des gedachten Gesetzes rechts-
	        
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