Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

270 Das Staatsbürgerrecht. (8. 59.) 
lichmachung an einen ausgebreiteten Personenkreis, also auch in öffentlichen Lesehallen 
und Lesezirkeln, der von derselben betroffenen Druckschrift oder der Wiederabdruck der 
Stellen, die die Beschlagnahme veranlaßt haben, unstatthaft. Wer mit Kenntnis der 
verfügten Beschlagnahme dieser Bestimmung entgegenhandelt, wird mit Geldstrafe bis 
500 Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (§. 28).1 
D. Druckschriften können wegen Strafbarkeit ihres Inhaltes vernichtet werden: 
a) infolge der Verurteilung einer bestimmten Person; b) ohne die Voraussetzung 
zu a im Wege des sog. objektiven Verfahrens (Strafprozeßordnung, §. 477 ff.); ch ohne 
die Voraussetzung zu a, wenn das Verfahren gegen eine bestimmte Person anders als 
durch Verurteilung beendigt ist (Str. G. B., §§. 41, 42). Eine vorgängige Beschlag- 
nahme ist nicht notwendige Voraussetzung der Unbrauchbarmachung. Die nähere Er- 
örterung gehört lediglich in das Strafrecht.? 
E. Das Reichspreßgesetz bestimmt im Abs. 2 des §. 30, daß das Recht der Landes- 
gesetzgebung, „Vorschriften über das öffentliche Anschlagen, Anheften, Ausstellen, sowie 
die öffentliche unentgeltliche Verteilung von Bekanntmachungen, Plakaten und Auf- 
rufens zu erlassen“, durch das Reichspreßgesetz nicht berührt wird. Diese das Plakat- 
wesen betreffende Bestimmung ist erst bei der dritten Lesung im Reichstage in das Gesetz 
aufgenommen worden. Der Entwurf des Gesetzes wollte solche Plakate nur in den engeren 
Grenzen der bisherigen preußischen Gesetzgebung zulassen, während in einer Reihe anderer, 
namentlich süddeutscher Staaten, Gesetzgebung und Praxis einen wesentlich anderen 
Standpunkt einnehmen. Da indes eine Vereinbarung hierüber zwischen dem Bundesrate 
und dem Reichstage nicht zu erzielen war, so wurde schließlich der Vorschlag angenommen, 
es vorläufig bei demjenigen Zustande zu belassen, welcher zurzeit in betreff des Gegen- 
standes gesetzlich oder gewohnheitsmäßig besteht." Infolgedessen sind die in den Einzel- 
staaten des Reiches zurzeit bestehenden, den Gegenstand betreffenden Vorschriften vorläufig 
aufrecht erhalten worden, und zwar sowohl die im Wege der Gesetzgebung, als der Ver- 
ordnung erlassenen. Der Abs. 2 des §. 30 des Reichspreßgesetzes wahrt außerdem 
ausdrücklich das Recht weiterer Gesetzgebung der Einzelstaaten in dieser Materie, aber 
auch nur in diesem auf Bekanntmachungen, Plakate und Aufrufe beschränkten Umfange. 
Die hiernach fortdauernd geltenden Paragraphen des preußischen Preßgesetzes v. 
12. Mai 1851 (§§. 6, 9, 10) bestimmten, daß Anschlagezettel und Plakate", welche 
  
1 Wenn bei der Beschlagnahme einer Druck= sen, S. 252—257; v. Schwarze, S. 152— 
schrift die Bezeichnung der die Beschlagnahme ver- 
anlassenden Stellen unterblieben ist, so trifft das 
nach §. 28 für die Dauer der Beschlagnahme 
geltende Verbot der Verbreitung nur die Ver- 
breitung oder Vervielfältigung der ganzen Druck- 
schrift, nicht aber den Wiederabdruck einzelner 
Stellen (Erk. des Ob. Trib. v. 2. Nov. 1876, 
Entsch., Bd. LXXVIII, S. 404; Oppenhoffs 
Rechtsprechung, Bd. XVII, S. 709). 
2 S. dazu v. Liszt, S. 209 ff.; H. Seuffert 
in Stengels Wörterbuch 1, S. 316 ff., über die 
zahlreichen dem Strafrecht angehörigen Streit- 
fragen bezüglich dieses Punktes; über die Aus- 
legung des §. 42 s. auch Entsch. des Reichs- 
gerichts in Strafs., Bd. XXX, S. 199 (nur wenn 
die Verfolgung „einer bestimmten Person“ nicht 
möglich war, ist §. 42 anwendbar, nicht aber, 
wenn die Verfolgung irgend einer Person nicht 
möglich ist). 
* Uber die Bestimmung dieser Begriffe f. G. 
Meyer, Verw. R., Bd. I., S. 177 f. Auch 
Reklamezettel für Geschäfte gehören hierher, Entsch. 
des O. V. G., Bd. XXIII, S. 277; s. ferner 
v. Liszt, S. 55 ff. 
“ Vgl. das Nähere hierüber bei Marquard- 
  
  
157; v. Liszt, S. 55 ff. 
5 Daß durch den Abs. 2 des §. 30 des Reichs- 
pres#gesetzes die Vorschriften der preußischen Ge- 
setgebung über das Plakatwesen nicht außer 
Kraft gesetzt, sondern als fortbestehend zu er- 
achten sind, hat auch das Oberverwaltungsgericht 
Entsch. V, S. 413 ff. des näheren ausgeführt. Auch 
die Kommentatoren legen den Abs. 2 des §. 30 
dahin aus, daß durch denselben die bestehenden 
landesgesetzlichen Vorschriften über das Plakat- 
wesen nicht beseitigt worden sind. Vgl. Berner, 
S. 316; Marquardsen, S. 256; v. Schwarze, 
S. 156; Thilo, S. 118:; G. Meyer, Verw. 
R., I, S. 177 f.; v. Liszt, S. 58 bemerkt, es 
werde durch den Abs. 2 des §F. 30 sowohl die 
gewerbsmäßige, als die nicht gewerbsmäßige 
öffentliche Verbreitung getroffen, jedoch nicht in 
allen ihren Formen, sondern nur in den vom 
Gesetze aufgezählten: daher blieben landesgesetz- 
liche Beschränkungen anderer Formen der öffent- 
lichen Verbreitung, z. B. der entgeltlichen Ver- 
breitung, durch den §. 1 des Reichspreßgesetzes 
ausgeschlossen. 
* Der Ausdruck „Plakate"“ bedeutet nicht bloß 
besondere, selbständige, der augenblicklichen Ver-
	        
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