Das Recht der freien Meinnugsäußernng. (8. 59.) 271
einen anderen Inhalt haben, als Ankündigungen über gesetzlich nicht verbotene Ver—
sammlungen, über öffentliche Verfügungen, über gestohlene, verlorene oder gefundene Sachen,
über Verkäufe oder andere Nachrichten für den gewerblichen Verkehr nicht angeschlagen,
angeheftet oder in sonstiger Weise öffentlich ausgestellt werden dürfen, daß jedoch diese
Bestimmungen auf die amtlichen Bekanntmachungen öffentlicher Behörden nicht anwendbar
sind. Die Zuwiderhandlung gegen die Vorschrift des 8. 9 wird nach 8. 41 a. a. O.
mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Gefängnisstrafe bis zu sechs Wochen be-
straft.1 Es handelt sich hier also in erster Linie um das politische Plakat, das durch
die preußische Gesetzgebung verboten ist.
F. Die für Kriegszeiten, d. i. der Kriegsgefahr, des Krieges, des erklärten
Kriege-(Belagerungs-Zustandes oder innerer Unruhen (Aufruhrs) in bezug auf die Presse
bestehenden besonderen gesetzlichen Bestimmungen bleiben auch dem Reichspreßgesetze
gegenüber bis auf weiteres in Kraft (§. 30, Abs. 1).
Während der §. 15 des Neichspreßgesetzes selbst in Beziehung auf Zeiten der Kriegs-
gefahr oder des Krieges für einen einzelnen Fall Fürsorge dahin getroffen hat, daß dem
Reichskanzler das Recht zusteht, Veröffentlichungen über Truppenbewegungen oder Ver-
teidigungsmittel mittels öffentlicher Bekanntmachung zu verbieten?, hat der Abs. 1 des
§. 30 den Zweck, ausdrücklich die Suspendierung der in diesem Gesetze aufgestellten Be-
schränkungen der Staatsgewalt zugunsten der freien Bewegung der Presse durch die be-
sonderen gesetzlichen Bestimmungen über den Kriegs-Belagerungs-,Zustand und den Fall
des Aufruhrs, sobald diese in Wirksamkeit treten, auszusprechen. „Was 4 a) die Er-
klärung des Kriegszustandes betrifft, so hat nach dem für das ganze Reich (mit Aus-
nahme von Bayern) geltenden Art. 68 der Reichsverfassung der Kaiser das Recht, wenn
die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiete bedroht ist, einen jeden Teil desselben in
Kriegszustand zu erklären, und bis zum Erlasse eines die Voraussetzungen, die Form der
Verkündigung und die Wirkungen einer solchen Erklärung regelnden Reichsgesetzes gelten
dafür (nämlich nur für die Erklärung des Kriegszustandes) 5 die Vorschriften des preußischen
Gesetzes v. 4. Juni 1851 über den Belagerungszustand, nach dessen §. 5 die Preß-
freiheit? bei Erklärung des Belagerungszustandes zeitweise und distriktsweise, und zwar
unter ausdrücklicher Angabe der zu suspendierenden Bestimmungen, suspendiert werden
kann; was aber b) die übrigen im Abs. 1 des §. 30 des Reichspreßgesetzes gedachten
Fälle betrifft, so hat die Reichsgesetzgebung die Suspension der Preßfreiheit auch dann
zugelassen, wenn der Fall der Erklärung des Kriegszustandes nicht vorliegt; die für
Zeiten der Kriegsgefahr, des Krieges oder innerer Unruhen (Aufruhrs) in bezug auf die
anlassung dienende Drucke, sondern umfaßt auch
Anschläge einzelner Nummern periodischer Druck-
schristen. Entscheidungen d. O. V. G. V, S. 425,
XXIII, S. 277. Uber §. 10 des - Preß-
gesebes v. 12. Mai 1851 s. G. Meyer, Verw.
R. I. S. 173 f., N. 11, 12; v. Liszt, S. ö57 ff.
Diese Schriftsteller sind der Ansicht, daß §. 10
gegenüber den Vorschriften des Reichsrechtes nicht
als fortgeltend anzusehen ist, weil er allge-
meine Vorschriften über die Verbreitung von
Druckschriften enthält, vgl. aber Entsch. des O.
B. G. V, S. 413, XXIII, S. 278 f., XXXi.
S. 418, XXXV, S. 431; danach ist der zit. 8. 10
noch geltend, soweit er das nicht gewerbemäßige
öffentliche Anschlagen von Plakaten betrifft; solche
dürfen demnach an öffentlichen Orten nur mit
Erlaubnis der Ortspolizeibehörde angeschlagen
werden. Das gleiche gilt nach der Rechtsprechung
des Kammergerichtes für öffentliche Zettelverteilung,
z. B. Einladungen zu Versammlungen der Heils-
armee.
1 Selbstverständlich ist, daß der Polizeibehörde
auch das Recht zusteht, solche Plakate, deren An-
heftung usw. der §. 9 des Preßgesetzes v. 12. Mai
1851 verbietet, einfach abnehmen zu lassen und
zu konfiszieren, sowie, daß auf Plakate, wie auf
andere Druckschriften die allgemeinen Vorschriften
der §§. 6 ff. des Reichspreßgesetzes Anwendung
finden.
: Anders die übrigen bei v. Liszt, S. 58,
angef. deutschen Partikulargesetzgebungen.
4 Vgl. S. 265, Z. 6b
* Der folgende, durch Anführungszeichen be-
zeichnete Absatz, war von v. Rönne entnommen
aus v. Liszt, S. 41 f., ohne Angabe der Quelle.
5 S. dazu Laband, Bd. IV. S. 40 ff., ferner
Haldy, Der Belagerungszustand, .1902 (Bonner
Diss.).
* G. S. 1851, S. 451 ff.
* Sowie nach E *5 des G. v. 4. Juni 1851
bei Erklärung des Belagerungszustandes die
Art. 27 und 28 der Verfassung suspendiert
werden können, gilt dies für das Reich bezüglich
des §. 1 des Reichspreßgesetzes, welcher den
Grundsatz der Preßfreiheit ausspricht, und der
Konsequenzen, welche sich daraus ergeben.