272 Das Staatsbürgerrecht.
(§. 59.)
Presse bestehenden besonderen Bestimmungen bleiben auch dann in Kraft, wenn aus irgend
einem Grunde der Kriegszustand nicht erklärt werden sollte. In diesem Falle aber kommen
lediglich die Landesgesetze, und zwar für Preußen das Gesetz v. 4. Juni 1851 zur An-
wendung“, dessen §. 16 bestimmt, daß auch bei nicht erklärtem Belagerungszustande im
Falle des Krieges oder Aufruhrs bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit der
Art. 27 der Verfassung (neben anderen) zeit= und distriktsweise durch das Staatsministe-
rium außer Kraft gesetzt werden kann, und dessen §. 17 in allen Fällen die Rechen-
schaftsgebung vor den Kammern verlangt.
G. Vorbehaltlich der auf den Landesgesetzen beruhenden allgemeinen Gewerbesteuer
findet eine besondere Besteuerung der Presse und der einzelnen Preßerzeugnisse (Zeitungs-
und Kalenderstempel, Abgaben von Inseraten usw.) nicht statt (§. 30, Abs. 4).2
Diese Bestimmung schließt selbstverständlich auch aus, daß die Landesgesetzgebung
eines Einzelstaates des Reiches solche Steuern wieder einführen kann.
Eine andere finanzielle Belastung der Preßgewerbe hat dagegen die Reichsgesetz-
gebung bis jetzt nicht beseitigt.
Der Abs. 3 des §. 30 des Reichspreßgesetzes hat
nämlich bestimmt, daß durch das Reichspreßgesetz die Vorschriften der Landesgesetze über
Abgabe von Freiexemplaren an Bibliotheken und öffentliche Sammlungen nicht berührt
werden.
Hiernach ist mithin die Bestimmung des §. 6 des preußischen Preßgesetzes v.
12. Mai 1851,
Verlagsartikel,
daß die bisherige Verpflichtung des Verlegers, zwei Exemplare seiner
und zwar eines an die königliche Bibliothek in Berlin, das andere an
die Bibliothek der Universität derjenigen Provinz, in welcher er wohnt, unentgeltlich ein
zusenden, fortbesteht, durch das Reichspreßgesetz nicht beseitigt worden.
1 Vgl. hierzu auch Bd. I, S. 252.
2 Durch diese Bestimmungen sind insbesondere
":„ die beiden Gesetze v. 29. Juni 1861 und
. 26. Srr 1862 (G. S. 1861, S. 689 und
1862, . 335), betr. die Zeikungsstempelsteuer,
wes4che burrch die Verordnung v. 4. Juli 1867
(G. S. 1867, S. 1066) auch für die im Jahre
1866° mit der Monorchie vereinigten Landesteile
in Wirksamkeit gesetzt worden waren, und b) das
G. v. 10. Jan. 1868, betr. die Stempelsteuer von
Kalendern (G. S. 1868, S. 41), sowie sämt-
liche älteren gesetzlichen Lestimmungen über die
Zeitungs= und Kalenderstempelsteuer außer Kraft
gesetzt worden. Daß die im Abs. des §.30 des Reichs-
presigesetzes ausgesprochene Befreiung den Spiel-
kartenstempel nicht berührt, weil Spielkarten
kein Preßerzeugnis im Sinne des Gesetzes sind,
wird allseitig zugegeben (vgl. Marquardsen,
S. 272 zu 4; Thilo, S. 124, Anm. IV, 12;
v. Schwarie, Reichspreßgesetz, S. 157; v. Liszt,
§. 19, S. 63, sub II) und hat durch den Er-
laß des Neichsgesetzes v. 3. Juli 1878, betr.
den Spielkartenstempel (R. G. Bl. 1878, S.
133 ff.), gesetzliche Anerkennung gefunden.
3 Die Ablieferung von Freiexemplaren an die
königliche Bibliothek war angeordnet worden
durch die Reskr. v. 29. März und 13. April
1764 und v. 28. Sept. 1789 (Myrlius, N. C. C.
Tom. III, p. 611—614 und p. 665 und Tom.
VIII, p. 2681, Rabe, Sammlung, Bd. Xlll,
S. 195). Der 6. XV des Zensuredikts v. 18. Ott.
1819 (G. S. 1819, S. 224) hob diese Ver-
pflichtung auf; sie wurde indes in der im §. 6
des Presigesetzes v. 12. Mai 1851 bestimmten
Weise wiederhergestellt durch die Kab. O. v.
28. Dez. 1824, sub Nr. 5 (G. S. 1825, S. 2).
Über die Ausführung dieser Bestimmung ist das
Zirk. Reskr. des Min. der geistl., U. u. Med.
Ang. v. 25. Febr. 1840 (Min. Bl. d. i. Verw.
1840, S. 93) ergangen. Vgl. auch M. Bl. d.
i. Verw. 1847, S. 85 und 164, und über die
Entstehung und Geschichte dieser älteren Vor
schriften, soweit es sich um die älteren Provinzen
der Monarchie handelt, die Darstellung in dem
Börsenblatte für den Deutschen Buchhandel, Jahrg.
1869, Nr. 72. In den im Jahre 1866 mit der
Monarchie vereinigten Landesteilen waren die be-
treffenden Bestimmungen folgende: In Hannover
mußten früher je zwei Exemplare aller neuen
Verlagsartikel an die königliche Bibliothek in
Hannover und an die Universitätsbibliothek in
Göttingen geliefert werden; an die Stelle der
ersteren ist jetzt die königliche Bibliothek in Berlin
getreten. In der Provinz Hessen-Nassau werden
seit 1866 gar keine Pflichteremplare verlangt:
früher wurden solche in dem Kurfürstentum Hessen
an die Landesbibliothek in Kassel, die Universitäts=
bibliothek in Marburg und die bischöfliche Biblio-
thek in Fulda, in Nassau an die herzogliche
Bibliothek in Wiesbaden geliefert. In der Provinz
Schleswig-Holstein mußte zur Zeit der dänischen.
Herrschaft von allen in den beiden Herzogtümern
gedruckten Büchern ein Exemplar an die Uni-
versitätsbibliothek in Kiel geliefert werden; seit
der Einverleibung der Provinz in die preußische
Monarchie sind weder für Kiel, noch für Berlin
Pflichteremplare gefordert worden. In dem DHer-
zogtum Lauenburg hat niemals eine gesenzliche
Verordnung zur Ablieferung von Pflichtexemplaren
bestanden; ebensowenig in Frankfurt a. M.
Vglgl. Marquardsen, Reichspreßgesetz §. 30,
S. 269—270.