Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze. (8. 50.) 19 
widrigkeit dieser Ausschließung ist demnächst von dem Staatsministerium anerkannt und 
der richtige Grundsatz zur Geltung gebracht worden, „daß in Gemäßheit des Art. 109 
der Verfassungsurkunde die den Bestimmungen derselben, namentlich des Art. 12, zu- 
widerlaufenden Vorschriften der §§. 2 und 3 des Gesetzes v. 23. Juli 1847, der im 
übrigen nach den bestehenden Gesetzen zulässigen persönlichen Ausübung der polizeiobrig- 
keitlichen Gewalt auf dem Lande und des Dorfschulzenamtes durch jüdische Glaubens- 
genossen, nicht entgegenstehen“.1 
Die neuere Gesetzgebung enthält keinerlei Beschränkungen dieser Art für die Be- 
kleidung von Selbstverwaltungsämtern. 
V. Der Grundsatz des zweiten Satzes des Art. 12 der Verfassungsurkunde, wo- 
nach „der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte von dem religiösen Be- 
kenntnisse unabhängig ist“, und der hiermit in Verbindung stehende Grundsatz des zweiten 
Satzes des Art. 4 a. a. O., daß „die öffentlichen Amter unter Einhaltung der von den 
Gesetzen festgestellten Bedingungen für alle dazu Befähigten gleich zugänglich sind“, sind 
durch das Reichsgesetz v. 3. Juli 1869, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen 
in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung zu allgemein gültigen Bestimmungen 
für sämtliche Einzelstaaten des Deutschtn Reiches erhoben worden. Dieses Gesetz hat 
nämlich vorgeschrieben, „daß (innerhalb des ganzen Bundesgebietes) alle noch be- 
stehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten 
Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte aufgehoben 
werden“ und „daß insbesondere die Befähigung zur Teilnahme an der Ge- 
meinde= und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Amter vom 
religiösen Bekenntnis unabhängig sein soll“. Auf Ausländer kann das Ge- 
setz keine Anwendung finden", da Ausländer als solche für alle hier in Betracht 
kommenden rechtlichen Beziehungen lediglich unter dem allgemeinen Fremdenrecht stehen 
und erst durch den Erwerb der inländischen Staatsangehörigkeit in die Sphäre dieses 
Gesetzes eintreten. 
  
  
1 Vgl. das, die Reskripte v. 17. Juli 1853 
und v. 27. Juli 1856 ausdrücklich aufhebende, 
Zirk. Reskr. des M. d. J. v. 3. Febr. 1860 (M. Bl. 
d. i. Verw. 1860, S. 19) und den Allerh. Er- 
laß v. 23. Mai 1860 (a. a. O. 1861, S. 142 ff.). 
— Von dem Herrenhause ist zwar diese neuere 
Auffassung der Staatsregierung, ebenso wie in 
ihrer Anwendung auf die Auslibung der Rechte 
der Standschaft seitens jüdischer Rittergutsbesitzer 
angegriffen und beschlossen worden, die Staats- 
regierung zur Abhilfe aufzufordern (val. die Ver- 
handl. darüber in der Plenarsitz. v. 11. April 
und 16. Mai 1861 in den Stenogr. Ber. des 
Herrenh. 1861, Bd. I, S. 283—294 u. S. 
616—617; desgl. Drucks. 1861, Bd. II, Nr. 65, 
S. 1, u. Bd. III, Nr. 121, S. 1 u. S. 5); 
allein diese Beschlüsse des Herrenhauses sind ohne 
praktischen Erfolg geblieben. 
* B. G. Bl. 1869, S. 292 und über die Ent- 
stehungsgeschichte dieses ursprünglich für den Nordd. 
Bund erlassenen, demnächst aber zum Reichs- 
gesetze erhobenen Gesetzes, v. Rönne, St. R. 
d. D. Reiches (2. Aufl.) I, 176 ff. 
s Das Restr. des Min, der geistl. usw. Ang. 
v. 21. Nov. 1871 (M. Bl. d. i. Verw. 1872, 
S. 53) hat ausgeführt, daß infolge des Reichs- 
  
gesetzes v. 3. Juli 1869 der Wahl eines Juden 
zum Mitgliede einer städtischen Schuldepu- 
tation um seines religiösen Bekenntnisses willen 
die Bestätigung nicht versagt werden könne, daß 
hiervon jedoch der Fall der Wahl eines Juden 
zum Mitgliede des Vorstandes einer christ- 
lichen Schule wesentlich verschieden sei. Eine 
städtische Schuldeputation habe sämtliche Schulen 
der Stadt zu inspizieren; ihr liege die Sorge 
auch dafür ob, daß das Schulbedürfnis für die 
Kinder der der Stadt angehörigen Juden befrie- 
digt werde, und um dieser umfassenderen Auf- 
gabe der Schuldeputation willen habe die Zu- 
lassung von Juden zu ihren Geschäften selbst 
dann, wenn in der betr. Stadt eigene jüdische 
Schulen nicht bestehen, kein prinzipielles Bedenken. 
Dagegen habe der Vorstand einer einzelnen 
Schule nichts mit der Befriedigung des Schul- 
bedürfnisses für eine bestimmte Klasse von Staats- 
angehörigen zu tun, sondern seine Aufgabe er- 
schöpfe sich in der Sorge für die ihm anvertraute 
bestimmte Schule. Sei diese eine christliche, 
so habe ein Jude auch in ihrem Vorstande keine 
Stelle. . 
«Entsch.d.R.G.inStrafs.XlIl,-S. 
207 f. 
27
	        
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