Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

282 Das Staatsbürgerrecht. (§. 60.) 
Bescheinigung zu erteilen. Beginnt die Versammlung nicht spätestens eine Stunde nach 
der in der Anzeige angegebenen Zeit, so ist die später beginnende Versammlung als vor- 
schriftsmäßig angezeigt nicht anzusehen. Dasselbe gilt, wenn eine Versammlung die 
länger als eine Stunde ausgesetzten Verhandlungen wieder aufnimmt oder wenn eine 
Versammlung ihre Verhandlungen an einem anderen Orte fortsetzt (§. 1). Einer Ge- 
nehmigung irgend welcher Art bedürfen demnach solche Versammlungen 
nicht. Wohl aber hat die Polizei auch solchen Versammlungen gegenüber 
ihre allgemeinen Amtspflichten und die hieraus sich ergebenden Rechte. 
Vereinsversammlungen sind ebenfalls immer anzumelden, wenn der Verein als solcher 
eine Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten oder eine Erörterung politischer Gegen- 
stände bezweckt, vorbehaltlich nur des §. 3.) Ob die Versammlung in einem öffent- 
lichen Lokale oder in einer Privatwohnung stattfindet, ist für das Uberwachungsrecht 
grundsätzlich vollkommen gleichgültig, falls es sich um Erörterung oder Beratung öffent- 
licher Angelegenheiten handelt." 
Wenn eine Versammlung ohne die hiernach vorgeschriebene Anzeige stattgefunden 
hat, so treten gegen den Unternehmer, gegen denjenigen, der den Platz dazu eingeräumt 
hat, und gegen jeden, der in der Versammlung als Vorsteher, Ordner, Leiter oder Redner 
aufgetreten ist, die im §. 12 der Verordnung angedrohten Strafen ein. 
2. Die Vorsteher von Vereinen, welche eine Einwirkung auf öffentliche 
Angelegenheiten bezwecken, sind verpflichtet, die Statuten des Vereins und das Ver- 
zeichnis der Mitglieder' binnen drei Tagen nach Stiftung des Vereins, und jede Ande- 
  
männer; 3. in Hessen-Nassan die Ortsbürger- 5 Nämlich gegen die Unternehmer Geldbuße 
meister; 4. in Schleswig-Holstein die Amtsvor= von 15—150 Mark oder Gefängnisstrafe von 
steher; 5. in Hannover die Landräte; 6. in Posen 8 Tagen bis zu 6 Wochen, und gegen die übrigen 
die Distriktskommissare; 7. in Hohenzollern die im §. 12 bezeichneten Personen Geldbuße von 
Oberamtmänner:. hierüber Schön, Recht der Kom- 15—150 Mark. Wenn bei einer Versammlung die 
munalverbände, S. 28, 29, 35, 38, 207, 208, 374. im §. 1 der Verordnung vorgeschriebene Anzeige ver- 
1 Die Bescheinigung muß sofort und selbst absäumt worden ist, so wird die Strafbarkeit der- 
an Sonntagen erteilt werden. Hat der betreffende jenigen, welche in derselben als Leiter oder Redner 
Beamte die Bescheinigung widerrechtlich verzögert aufgetreten sind, oder desjenigen, welcher das 
und läßt demnächst mangels derselben die Ver- Lokal dazu hergegeben hat, dadurch allein, daß 
sammlung auflösen, so enthält dieses Verhalten sie irrtümlich angenommen haben, jene Anzeige 
einen Mißbrauch der Amtsgewalt, und ist, da sei durch einen Dritten erfolgt, nicht beseitigt 
der Beamte durch die Auflösung die Anwesenden (Erkenntnis des Obertribunals v. 4. Dez. 1862, 
zur sofortigen Entfernung genötigt hat, aus Entsch., Bd. XLIX, S. 13“, Oppenhoffs Rechtspr., 
8. 339 des Strafgesetzbuchs strafbar. (Erkenntnis! Bod. III, S. 152, Goltdammers Archiv, Bd. XI. 
des Obertribunals v. 22. Juni 1878, Oppenhoffs S. 122). 
Rechtspr., Bd. XIX, S. 325, Goltdammers Acchiv, 4 Obdies der Fall sei, darüber hat die Polizei- 
Bd. XXVI, S.450.) Es ist der Ortspolizeibehörde behörde zu befinden; die Gerichte können nur 
nicht gestattet, bei Erteilung der Bescheinigung im dann in den Fall kommen, darüber zu urteilen, 
voraus die Weisung auszusprechen, daß die Ver= wenn Verfolgungen wegen Übermetungen der 
sammlung (wegen ungenügender Beschaffenheit des Vorschriften des Gesetzes anhängig gemacht wer- 
Lokals) auf eine bestimmte Zahl von Teilnehmern den. Selbstverständlich sind sie dann nicht an 
zu beschränken sei. Entsch. des O. V. G., Bd. die Auffassung der Polizeibehörde gebunden. Uber 
VI, S. 370). Die „Bescheinigung“ hat sich nach die begriffliche Feststellung dieser Art von Ver- 
dem Gesetze lediglich auf die erfolgte „Anzeige“ zu einen, insbesondere das „bezwecken“, s. Caspar, 
beschränken. Entsch. des O. V. G., Bd. VI, S. 36 ff., vgl. auch oben S. 278, Note 2; Reiche- 
S. 370; Bd. XI, S. 382. gericht, Bd. XXII. S. 338; ferner Entsch. des 
* Entsch. des O. V. G., Bd. VI. S. 370! O. V. G., Bd. XXXVIII. S. 417 (Gesangvereine 
Caspar, S. 66. für Vorträge bei Parteifesten). 
* Caspar, S. 70 f.; Entsch. des O. V. G., * a) Hiernach ist jeder Verein der gedachten Art 
Bd. XXIII, S. 399. verpflichtet, Statuten zu haben, was durch das 
4 Entsch. des O. V. G., Bd. XX, S. 432: Gesetz vorzuschreiben auch ausdrücklich beabsichtigt 
Schwartz, Verf. Urk., S. 380. Uber das Ver= worden ist (Stenogr. Ber. der II. Kammer 1849 
hältnis der Polizei zu „geschlossenen Gesellschaf:⅛: —50, Bod. V, S. 2771). b) Wenn die Mitglieder des 
ten“ s. die sehr wertvollen Entsch, des O. V. G., Vereins verschiedenen Ortspolizeibezirken ange- 
Bd. I, S. 365, 375; Bd. IX, S. 406: Bd. XXIII, hören, müssen der Ortspolizeibehörde jedes Ortes, 
S. 413; Bd. XXVI, S.408: Bd. XXIX, S. 452; wo der Verein Mitglieder hat, ein Verzeichnis der 
über religiöse Versammlungen von mit Korpo- letzteren und die Statuten mitgeteilt werden; die 
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rationsrechten nicht ausgestatteten Religionegeselle Mitteilung an die Behörde des Ortes, in welchem 
schaften Bd. XXIII. S. 306. der Gesamtverein seinen „Sitz“ hat, genügt nicht
	        
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