Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Die Gemeinden. 333 
G. 65.) 
Kreise und Gemeinden“ zerfalle!, und dieser Satz wurde bei der Revision der Ver- 
fassungsurkunde anfangs auch von den Kammern aufrechterhalten; schließlich ist er 
indes in die Verfassungsurkunde v. 31. Jan. 1850 (Art. 105) nicht übergegangen.? 
Inzwischen ist die Existenz der Gemeinden, als der untersten Stufe der allgemein durch- 
geführten korporativen Organisation des gesamten Staates, eine Tatsache, die auch ohne 
ausdrückliche Anerkennung seitens der Verfassungsurkunde bestehen bleibt. Allein die Be- 
seitigung des erwähnten Grundsatzes der Verfassungsurkunde enthielt doch eine materiell 
erhebliche Abänderung. Aus Art. 104 der oktroyierten Verfassungsurkunde v. 5. Dez. 
1848 ergab sich als notwendige Folge, daß es keinen Teil des Staatsgebietes, also kein 
Grundstück geben solle, welches nicht zu irgend einem Gemeindebezirke gehörts, und es 
kann auch nicht in Zweifel gezogen werden, daß, wenn die Gemeinde die unterste Stufe 
der ganzen Staatseinteilung bilden soll, auch die Abgrenzung in Gemeindebezirke durch 
das ganze Staatsgebiet hindurchgehen muß und kein Teil desselben außerhalb dieser Ein- 
teilung stehen darf. Deshalb hatte der §. 1 der Gemeindeordnung v. 11. März 1850 
den Grundsatz ausgesprochen, „daß zu einem Gemeindebezirke alle innerhalb der Grenzen 
desselben gelegenen Grundstücke gehören, und daß jedes Grundstück einem Gemeindebezirke 
angehören oder einen solchen bilden muß“".“ 
Dieser Grundsatz ist indes mit der durch 
  
1 Der Entwurf der Verfassungskommission der 
Nationalversammlung v. 26. Juli 1848 enthielt 
im Art. 102 den Satz: „Das Gebiet des Preußi- 
schen Staates wird in Bezirke, Kreise und Ge- 
meinden eingeteilt.“ 
* Die Botschaft der Krone v. 7. Jan. 1850 (Pro- 
position XII) beantragte nämlich die Streichung 
jener Eingangsworte des Artikels und daß statt 
derselben nur gesetzt werde: „Die Vertretung und 
Verwaltung der Gemeinden, Kreise, Bezirke und 
Provinzen des Preußischen Staates wird durch 
besondere Gesetze näher bestimmt.“ Diesem An- 
trage sind die Kammern schließlich beigetreten. 
Als Grund der Anderung wird in den Motiven 
der Proposition angegeben, „daß durch die Ver- 
änderung der Eingangsworte auch in der Fassung 
angedeutet werden solle, daß die hier genannten 
Verbände mit ihrem räumlichen Bezirke nicht 
zunächst und nicht lediglich als Einteilungen des 
Staatsgebietes oder administrative Verwaltungs- 
bezirke, und wiederum letztere nicht lediglich in 
dieser Eigenschaft als Korporationen zu betrachten 
seien" (vgl. v. Rönne, Verfassungsurkunde, 
Art. 115, S. 196—205). Das Verfassungsgesetz 
v. 24. Mai 1853 (G. S., S. 228), welches den 
Art. 105 der Verfassungsurkunde aufhebt, hat dem- 
nächst an dessen Stelle gleichfalls nur den oben- 
erwähnten Satz gesetzt. 
2 Die Motive zum §. 1 des von der Staats- 
regierung vorgelegten Entwurfs der Gemeinde- 
ordnung v. 11. März 1850 erkennen dies aus- 
drücklich an (vgl. v. Rönne, Kommentar über 
die Gemeindeordnung, S. 20); bei der Beratung 
in den Kammern über die in der vorigen Note 
erwähnte Proposition XII der königlichen Bot- 
schaft v. 7. Jan. 1850 ist indes diese Bedeutung 
der in Rede stehenden Bestimmungen des Art. 104 
nicht vollständig gewürdigt worden. Die Re- 
visionskommission der II. Kammer spricht näm- 
lich in ihrem Bericht über die Proposition XII 
die (mit den obengedachten Motiven der Staats- 
regierung im Widerspruche stehende) Ansicht aus, 
„daß der Eingang des Art. 104 in seiner ur- 
sprünglichen Fassung nicht dahin zu verstehen 
sei, als ob dadurch eine Garantie dafür habe 
  
  
ausgesprochen werden sollen, daß im Preußischen. 
Staate alles Land zu einer Gemeinde, alle Ge- 
meinden zu Kreisen 2c. gehören sollen"“. Zur Be- 
gründung dieser, von der ausdrücklichen Erklärung 
der Staatsregierung abweichenden Ansicht wird 
indes von seiten der Revisionskommission nichts 
Näheres beigebracht. Dagegen hat der Zentral- 
ausschuß der I. Kammer in seinem Bericht über 
die erwähnte Proposition mit Recht bemerkt, „daß 
die Annahme derselben den bereits von der Ge- 
meindeordnung angenommenen Grundsatz ge- 
fährde, daß es durchaus keinen Teil des Staats- 
gebietes, also kein Grundstück, geben soll, welches 
zu keinem Gemeindebezirke gehört“. Der Zentral- 
ausschuß beantragte daher die Ablehnung der 
Proposition. Nachdem indes die II. Kammer sich 
für deren Annahme entschieden hatte, stand auch 
der Zentralausschuß der I. Kammer von seinem 
Bedenken ab, bemerkte indes ausdrücklich, „daß 
dies nur deshalb geschehe, weil das erwähnte 
Prinzip bereits in §. 1 der Gemeindeordnun 
gewahrt sei und die Regierung erklärt habe, dab 
durch die Proposition eine materielle Anderung nicht 
beabsichtigt werde“ (vgl. v. Rönne, Bearbeitung 
der Verf. Urk., S. 205), worauf dann auch die 
I. Kammer dem Antrage beitrat. Die Voraus- 
setzungen der 1. Kammer sind indes später da- 
durch hinfällig geworden, daß auch die Gemeinde- 
ordnung v. 11. März 1850 durch das G. v. 
24. Mai 1853 (G. S., S. 238) wieder auf- 
gehoben und solchergestalt das erwähnte Prinzip 
zunächst wieder beseitigt worden war. 
4 Dies war früher vielfach, namentlich auf 
dem Lande, nicht der Fall; vielmehr standen, ab- 
gesehen von den großen Gütern (Domänen und 
Rittergüter) und früheren Bestandteilen derselben, 
in den Provinzen Preußen, Pommern, Branden- 
burg, Sachsen und Schlesien auch manche kleinere 
Besitzungen (Mühlen, Krüge und dergl.) noch 
außerhalb des Gemeindeverbandes. Die Motive 
der Staatoregierung zum §. 1 des Entwurfs der 
Gemeindeordnung v. 11. März 1850 bezeichneten 
aber das längere Fortbestehen dieses Zustandes 
als unhaltbar (vgl. v. Rönne, Kommentar 
über die Gemeindeordnung, S. 20). — Die
	        
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