334 Die Staatsbehörden.
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das Gesetz v. 24. Mai 18531 erfolgten Wiederaufhebung der Gemeindeordnung v.
11. März 1850 aus der Spezialgesetzgebung wieder formell beseitigt worden, in Wirk-
lichkeit aber hat ihn die spätere Spezialgesetzgebung allenthalben zur prinzipiellen Grund-
lage genommen und die früher zahlreichen „gemeindefreien"“" Grundstücke sind heute voll-
ständig beseitigt.
Die Gemeinden zerfallen nach der historischen Entwicklung allenthalben in Deutsch-
land in Stadt= und Landgemeinden und diese Unterscheidung ist auch überall maß-
gebend geworden für die Gestaltung des Gemeinderechtes; nur vereinzelt wurden Stadt-
und Landgemeinden von der Gesetzgebung nach dem Vorbild des französischen Rechtes
gleich behandelt ?; die neueste Entwicklung hat überall den Unterschied festgehalten und
vertieft. Nach dem jetzt in Preußen geltenden Rechte ist die Trennung überall durch-
geführt.
A. Innerhalb der Gruppe der Städte aber bestehen wieder nach preußischem Recht
bemerkenswerte Verschiedenheiten:
1. die Stadt Berlin nimmt eine besondere Stellung insofern ein, als für sie
zwar einerseits das allgemeine Städterecht in vollem Umfange gilt, als sie andererseits
im Rahmen der Staatsverwaltung aber einen völlig exemten Charakter hat; s. hierüber
oben S. 313 f.;
2. eine Anzahl von Städten, für die gleichfalls im übrigen das allgemeine Städte-
recht gilt, bilden selbständige Kreise, die sog. Stadtkreise, in denen die Kreisverwaltung
und die Gemeindeverwaltung — mit nur geringfügigen Modifikationen — sich decken;
s. hierüber oben S. 332;
3. für die übrigen Städte gilt hinsichtlich der Gemeindeverwaltung das Stadtrecht,
andererseits gehören diese Städte dem Verbande eines Kreises an und unterstehen, aller-
dings mit gewissen Besonderheiten, der Kreisverwaltung durch Landrat, Kreisausschuß
und Kreistag.
Das Städterecht in Preußen entbehrt der einheitlichen Kodifikation; der nach dieser
Richtung von seiten der Regierung im Jahre 1876 unternommene wertvolle Versuch
älteren Gemeindegesetze des Preußischen Staates
hatten den in Rede stehenden Grundsatz des §. 1
der Gemeindeordnung v. 11. März 1850 nicht
vollständig anerkannt. Die Städteordnung v.
19. Nov. 1808, §S. 4, und die revidierte Städte-
ordnung v. 17. März 1831, §. 5, sprechen nur
aus, daß sämtliche Einwohner und Grundstücke
innerhalb der Stadt, der Vorstädte und der
städtischen Feldmark zum städtischen Gemeinde-
bezirke gehören sollten. Die §§. 7 und 8 der
letzterwähnten Städtcordnung schlossen davon die
vormals unmittelbaren deutschen Reichsstände und
deren im Stadtbezirke liegenden Grundstücke und
deren Bewohner, und die Besitzer der übrigen
mittelbaren Städte mit ihrem Domanialbesitze
und dessen Bewohnern, sowie auch die Grund-
stücke oder Rittergüter mit ihren Bewohnern aus-
drücklich aus. Diese Grundsätze waren durch die
Verordnung v. 20. Nov. 1838 ·/(G. S., S. 3) auch
auf die Provinz Schlesien nebst der Grasschaft
Glatz und dem Markgrafentume Oberlansitz aus-
gedehnt worden. Die westfälische Landgemeinde-
ordnung v. 31. Okt. 1841, §§. 3 und 4, und die
rheinische Gemeindeordnung v. 23. Juli 1845,
§§. 3 und 4, hatten dagegen bestimmt, daß nicht
bloß alle innerhalb der Grenzen eines Gemeinde-
bezirkes belegenen Grundstücke zu diesem gehören,
sondern auch, daß einzeln gelegene Grundstücke,
die noch keiner Gemeinde angehören, mit einer
angrenzenden Gemeinde verbunden werden soll-
ten, wovon indes (§. 5) die Grundstücke der vor-
mals Reichsunmittelbaren und in der Provinz
Westfalen auch die landtagsfähigen Rittergüter
ausgenommen sein sollten. In den zur Provinz
Sachsen gehörigen ehemals westfälischen Landes-
teilen war durch Verordnung v. 31. März 1833
(G. S., S. 629) die infolge der fremdherrlichen
Gesetzgebung seither bestandene Verbindung
der Domänen und Rittergüter mit den Stadt-
und Landgemeinden wieder aufgehoben worden.
In den altländischen östlichen Provinzen, wo das
A. L. R. eingeführt ist, gehörten nach §. 18
A. L. R. II, 7 nur die bäuerlichen Grund-
stücke der Feldmark zur Dorfgemeinde, wogegen
die Rittergüter, Domänen und Staatsforsten, wie
auch häufig die Kirchen, Pfarr= und Schulgrund-
stücke von jedem Gemeindeverbande ausgeschlossen
waren. Alle diese Verhältnisse hatte dann der
8. 1 der Gemeindeordnung v. 11. März 1850
gleichmäßig für den ganzen Umfang der Monarchie
dahin reguliert, daß fortan zu einem Gemeinde-
bezirke alle innerhalb der Grenzen desselben ge-
legenen Grundstücke gehören sollten, und daß
jedes Grundstück einem Gemeindebezirke ange-
hören oder einen solchen bilden müsse.
1 G. S. 1853, S. 238.
2 Vgl. dazu Schön, Recht der Kommunal=
verbände, S. 163, Anm. 9.
S. besonders über die niemals durchgeführte
Gemeindeordnung v. 11. März 1850 (G. S.,
S. 213) Schön, Recht der Kommunalverbände,
S. 35 ff.