Der Organismus der Verwaltungsbehörden. 343
(§. 66.)
3. dasjenige System, welches den Mittelweg oder eine zweckmäßige Vereinigung
beider Systeme bildet, indem einige Arten der Staatsgeschäfte durch kollegialisch beratende
und beschließende Behörden, andere durch einzelne Staatsbeamte behandelt werden.1
Die preußische Staatsverwaltung, wie sich dieselbe nach und nach entwickelt, und
namentlich wie sie sich infolge der Reformen seit dem Jahre 1808 gestaltet hat, beruht
auf dem Prinzipe der Zentralisation und auf einer Verbindung des Systems der Kollegial-
und Bureauverwaltung. Die Verfassungsurkunde hat keine Bestimmungen hierüber auf-
genommen?; dagegen stellt sie (Art. 98) ein Staatsdienergesetz zur Feststellung der be-
sonderen Rechtsverhältnisse der nicht zum Richterstande gehörigen Staatsbeamten aller-
dings in Aussicht, welches indes bis jetzt nicht ergangen ist. Nur für Auslbung der
Disziplinargewalt sind die beiden umfassenden, übrigens durch die neuere Gesetzgebung
vielfach abgeänderten Gesetze v. 7. Mai 1851 und 21. Juli 1852 ergangen. Die
Verhältnisse der Reichsbeamten sind durch das allgemeine Gesetz v. 31. März 1873
(R. G. B., S. 61) geregelt.
Die bisherige Behördenorganisation des Preußischen Staates wurde auch in den
neuerworbenen Landesteilen eingeführt, sowohl in den Hohenzollernschen Landen? als in
den im Jahre 1866 mit der preußischen Monarchie vereinigten Gebietsteilen" zunächst
mit Ausnahme der Provinz Hannover. Eine durchgreifende Reorganisation der Ver-
waltung ist indes durch die neuesten Reformgesetze erfolgt, welche den Zweck verfolgt, die
Selbstverwaltung auszudehnen, erhöhte Rechtskontrollen in die Verwaltung einzuführen,
Dezentralisation mit Heranziehung von Laien zu den Geschäften der Staatsverwaltung
einzurichten und demgegenüber die Staatsverwaltung möglichst zu konzentrieren. Zur
Erreichung dieser Zwecke ist die Neugestaltung der Selbstverwaltungskörper in Kreis und
Provinz durch die Kreis= und Provinzialordnungen erfolgt, die Verwaltungsgerichtsbarkeit
eingeführt, und endlich eine veränderte Organisation der allgemeinen Landesverwaltung,
insbesondere durch teilweise Einführung des Bureausystems bei den Regierungen, durch-
geführt. Diese neuen Anordnungen sind zuerst in den östlichen Provinzen der Monarchie
zur Verwirklichung gelangt, jetzt aber, mit unwesentlichen Modifikationen für einzelne
Landesteile, einheitlich für die ganze Monarchie in Kraft gesetzt.
: Über diese verschiedenen Systeme der Be-72, 94 ff., 99. Dagegen vgl. Pözl, Lehrbuch
12, Note 3. S.
sorgung der Staatsgeschäfte vgl. Klüber, Offentl.
R. des D. B., S. 537; Schmitthenner, Grund-
linien des allgem. und ideal. Staatsr., S. 500;
Welcker im Staatslexikon s. v. Kollegium 3. Aufl.,
Bd. III, S. 581—583; Geschichte und Darstel-
lung des Organismus der preußischen Behörden
mit besonderer Rücksicht auf die Begriffe: Bureau-
kratie und Kollegialverwaltung, nebst Erörterung
der Vorzüge und Mängel beider Verwaltungs-
behörden (Arnsberg, 1840), besonders S. 4 ff.
und S. 175 ff. Vgl. auch v. Wolzogen,
Preußens Staatsverwaltung mit Rücksicht auf
seine Verfassung (Berlin, 1854), wo unter andern
S. 1 ff. die ganz irrige Ansicht aufgestellt wird,
daß das Bureausystem der autokratischen und
monarchischen, das Kollegialsystem der republika-
nischen Berfassung entspreche. Vgl. auch S. 56 ff.,
des bayerischen Verw. R., S.
über die Bedeutung des Unterschiedes zwischen
Kollegial= und Burcausystem auch die charakte-
ristische Außerung von Vincke bei E. Meier,
Reform, S. 232.
21 Nur in betreff der Gerichte ist im Art. 89
festgesetzt, daß deren Organisation durch das Ge-
setz (lalso nicht durch Verordnungen) bestimmt
werde.
Verordnung v. 7. Jan. 1852 (G. S., S.30)
und Allerhöchster Erlaß v. 18. Jan. 1854 (G. S.,
S. 47).
4 Vgl. für Schleswig-Holstein die Verord-
nungen v. 22. Sept. 1867 und 5. April 1869,
für Hessen-Nassau die Verordnungen v. 22. Febr.,
21. Juni, 9. Sept. 1867 und 7. Dez. 1868.