358 Die Staatsbehörden. (8. 69.)
Garnisonprediger. 1. Der Medizinalstab der Armee, welcher aus dem Generalstabs-
chirurgus, den Generalchirurgen und den Feldärzten der Armee bestand, führte die Auf-
sicht und Direktion des Medizinal= und Gesundheitswesens und der militärischen Medi-
zinalerziehungsanstalten; auch hatte derselbe die Prüfung der bei der Armee und den
Lazaretten anzustellenden Ärzte und Chirurgen. —
Zu diesem Monstrum war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
die einfache, klare und sichere Verwaltungsorganisation, Friedrich Wilhelmsl.
geworden. Die festen Linien dieser Organisation ließen sich kaum mehr
erkennen. Die Vielheit der Behörden, die Unsicherheit der Zuständigkeits—
grenzen, die Auseinanderreißung innerlich zusammengehöriger Gegenstände
in die verschiedensten, sich möglichst befehdenden Behörden, die territoriale
Zersplitterung der Behörden und die daraus hervorgegangene Zerfahren—
heit und Verwirrung der Verwaltungsgrundsätze hatten aus der großartigen
Staatseinheit Friedrich Wilhelms l., die in einer ausgezeichneten Verwal-
tung ihren Ausdruck fand, allmählich ein staatliches Chaos unerträglicher
Unordnung, gemacht. Das war in erster Linie die Ursache der Katastrophe
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S§. 69.
III. Die Stein-Hardenbergschen Reformen.
I. Die derart verwahrloste Verwaltung des Preußischen Staates hatte schon in
der friedericianischen Zeit nicht mehr den Ansprichen eines geordneten staatlichen Ge-
meinwesens zu genügen vermocht. In den Jahrzehnten unmittelbar nach des Königs
Tode zeigte sich die Desorganisation der Staatsverwaltung immer deutlicher, aber zu-
nächst ohne daß von irgend einer Seite der Versuch einer gründlichen Reform gemacht
oder auch nur angeregt worden wäre. Die nach Provinzen erfolgte Abteilung der Ge-
schäfte des Generaldirektoriums entzog den Ministern die aktenmäßige Kenntnis dessen,
was nicht in ihren Provinzen vorging; nur der Vortrag im Plenum vermochte ihnen
diese einigermaßen zu gewähren, aber die wichtigsten Sachen waren mehr und mehr
dem Plenum entzogen worden. Es konnten sich infolgedessen keine gemeinsamen Prin-
zipien bilden, und die Folge davon war, daß in den verschiedenen Provinzen nach ab-
weichenden Grundsätzen verfahren wurde. überdies führte die Verteilung gleichartiger
Geschäfte unter verschiedene Departements zu einer unzweckmäßigen Zersplitterung der
Arbeitskräfte, zu einem schleppenden Geschäftsgange, zu unerquicklichen Streitigkeiten unter
den verschiedenen Departements.) Erst nach dem Zusammenbruch des Staates 1806
gelangte die überzeugung zur Geltung, daß nur eine durchgreifende Umgestaltung der
Organisation des Staates imstande sei, dessen Wiedererhebung vorzubereiten; der Länder-
verlust war hierfür die äußere Veranlassung; der innere Grund aber war für Stein die
bei der Katastrophe hervorgetretene Lebensunkraft des Staates, der doch nach historischer
Tradition und innerem Gehalt die bedeutendste Lebenskraft unter allen deutschen Staaten
in sich trug.
1 Uber die Art, wie Friedrich der Große in
der Zeit nach dem Siebenjährigen Kriege diese
Verwirrung bbemeisterte, s. Hüffer, Kabinetts-
regierung, S. 54 ff. und die dort angegebenen
Materialien. Val. auch M. Lehmann: Frei-
herr vom Stein (1902), Bd. I, S. 175, 315 ff.,
bes. 401 ff.
* Vgl. E. Meier, Die Reform der Ver-
waltungsorganisation unter Stein und Harden-
berg Leipzig 18815; G. Meyer Anschütz, vehr-
buch des d. St. R., §.116, S. 395 ff.; H. Schulze,
Preußisches St. N., Bd.#I, §. 78. S. 242 ff.:
v. v. Ranke, X enkwürdigkeiten des Staats-
kanzlers Fürsten v. Hardenberg, 5 Bde. (Leipzig
1877); Max Lehmann, Freiherr vom Stein,
3 Bde. (1902—1905).
2 Ugl. die Schilderungen in der Schrift: Ge-
schichte und Dorstellung, des Organismus der
preußischen Behörden, S. 108 ff., und jetzt bes.
E. Meier, Reform, “m“ 28.