364 Die Staatsbehörden. (F. 70.)
III. Als oberste Behörde führt, wie bisher, der Oberpräsident die staatliche Ver-
waltung der Provinz; ihm steht der Provinzialrat zur Seite, welcher neben der un
mittelbaren Mitwirkung bei einigen wichtigeren, die ganze Provinz betreffenden Angelegen
heiten, über Beschwerden gegen Beschlüsse des Bezirksausschusses in dessen Eigenschaft als
beschließenden Organes der Verwaltung, den „Beschlußsachen“, zu entscheiden hat. Der
Provinzialrat besteht außer dem Oberpräsidenten als Vorsitzenden aus einem höheren Ver-
waltungsbeamten und fünf vom Provinzialausschuß gewählten Mitgliedern.
IV. Ihre weitere Ausgestaltung fand diese neue Verwaltungsorganisation einmal
darin, daß durch die Provinzialordnung v. 29. Juni 1875 auch die Provinzen
als Kommunalverbände organisiert wurden und eine sehr ausgedehnte Selbstverwaltung
„eigener“ Angelegenheiten erhielten, deren Organe der durch Wahl der Kreistage ge-
bildete Provinziallandtag, der von diesem bestellte Provinzialausschuß und endlich
die dauernd fungierende Provinzialselbstverwaltung, sog. „Landes“-Verwaltung unter
Leitung von Landeshauptleuten (Landesdirektoren), ist.
V. Sodann erfuhr die Verwaltungsgerichtsbarkeit ihre vorläufig abschließende Ge-
staltung dadurch, daß durch Gesetz v. 3. Juli 1875 das Oberverwaltungsgericht
als oberste Instanz über den Kreis= und Bezirksausschüssen geschaffen wurde und alsbald
eine tiefeingreifende Wirksamkeit entfaltete.
VI. Die durch diese Neuorganisationen notwendig gewordene Neuverteilung der
Geschäfte erfolgte nach verschiedenen Wandlungen endgiltig — wenigstens vorläufig —
durch das sog. Zuständigkeitsgesetz v. 1. Aug. 1883, indes die vorläufig ab-
schliestenden Bestimmungen über die Organisation der Staatsverwaltung in dem Gesetze
über die allgemeine Landesverwaltung v. 30. Juli 1833 enthalten sind. Diese
beiden großen grundlegenden Gesetze traten nach Durchführung der Selbstverwaltunge
organisation (s. Ziff. VII für die ganze Monarchie in Kraft.
VII. Die damit bewirkte einheitliche Gestaltung der preußischen Verwaltungsorgani-
sation aber konnte ihre völlige praktische Verwirklichung erst finden, nachdem in den
Jahren 1881—1888 durch Spezialgesetze die großartige Neugestaltung der kommunalen
Selbstverwaltung auch in Kreis und Provinz auf sämtliche Provinzen der
Monarchie ausgedehnt worden war, und zwar: für Hannover, Kreisordnung vom .
und Provinzialordnung v. 7. Mai 1884; für Hessen-Nassau, Kreisordnung v. 7. und
Provinzialordnung v. 8. Juni 1885; für Westfalen, Kreisordnung v. 31. Juli, Provinzial-
ordnung v. 1. Aug. 1836; für die Rheinprovinz, Kreisordnung v. 30. und Provinzial
ordnung v. 31. Mai 1887; für Schleswig-Holstein, Kreisordnung v. 26., Provinzial
ordnung v. 27. Mai 1888; für Posen, Gesetz v. 19. Mai 1889.
VIII. Einen äußeren Abschluß fand dann noch diese ganze Gesetzgebung durch die
Landgemeindeordnung v. 3. Juli. 1891 für die östlichen Provinzen der Monarchie.
IX. In ihren Grundlagen unberührt blieb, wenn sie auch in Einzelpunkten mehr-
fach verändert werden mußte, durch diese gewaltige neue Verwaltungsgesetzgebung nur
die Verwaltung der Städte, weil die großen Gedanken der neuen Gesetzgebung für
diese Verwaltungsbezirke schon seit 1808 durch die Steinsche Städteordnung verwirklicht
und im Laufe des 19. Jahrhunderts Gemeingut nicht allein für die Städte der heutigen
preußischen Monarchie, sondern aller deutschen Städte geworden waren. Der im Jahre
1876 von der Regierung unternommene Versuch einer einheitlichen Redaktion des ge-
samten preußischen Städterechts scheiterte an verhältnismäßig geringfügigen parlamentarischen
Schwierigkeiten.
X. Eine in wichtigen Punkten, besonders in dem der Selbstverwaltung, abweichende
Organisation mußte infolge zwingender Notwendigkeiten des allgemeinen Staatsinteresses
nur die Provinz Posen erhalten, s. hierüber die zusammenhängende Darstellung in §. 92D.
Das groste Werk dieser in einer gesetzgeberischen Arbeit von zwei Jahrzehnten
durchgeführten Neugestaltung der preußischen Verwaltung hat nunmehr in der Hauptsache
seinen Abschluß gefunden; in Einzelheiten wird eine Revision dieser Gesetzgebung aller-